Schwaben-Liebe
will aber nicht nur Aussicht«, betonte sie. »Ich will mehr.«
Sie ließ sich von seiner ausgestreckten Hand vom Stuhl auf die Beine helfen, fühlte sich sicher, als sie seinen Griff spürte. Er führte sie zum Fahrstuhl, ließ ihr galant den Vortritt. Die geräumige Kabine war rundum, vom Boden bis zur Decke, mit Spiegeln ausstaffiert. Genüsslich starrte sie geradeaus, betrachtete den muskulösen Körper des jungen Kerls, an den sie sich schmiegte. Heute gönne ich mir ebenfalls mal einen Nachtisch, jubelte es in ihr. Was sich mein Alter seit Monaten ständig schmecken lässt, heute bin ich an der Reihe …
Der Aufzug kam zum Stehen. Sie ließ sich auf den mit dicken dunkelblauen Teppichen ausgelegten Hotelflur führen, stand kurz darauf in einem gemütlich anmutenden Zimmer, dessen größten Teil das Doppelbett einnahm.
»Und?«, hörte sie seine Stimme. »Gefällt es dir?«
Sie konnte es kaum noch erwarten. Seine Hände machten sich an ihrer Kleidung zu schaffen, streiften sie Stück für Stück ab. Voller Elan half sie ihm nach. Wie sehr auch immer die Anforderungen dieses Tages sie in Anspruch genommen hatten, jetzt war sie dabei, alles zu vergessen. Alles, wirklich, alles …
13. Kapitel
September
Braig war an diesem Morgen erst vor wenigen Minuten im Büro eingetroffen, als sein Telefon läutete. Er hatte damit gerechnet, Jacqueline Stührer wieder wartend an seiner Tür vorzufinden, war aber enttäuscht worden. Die junge Kollegin hatte ihm am Vorabend eine ausführliche elektronische Mitteilung zukommen lassen, die sowohl das gemeinsam mit Silke Flohr und Daniel Schiek erstellte Phantombild der spurlos vom Tatort verschwundenen Unbekannten als auch eine Übersicht über ihre Tagesaktivitäten enthielt. Es war ihr im Anschluss an die Erstellung des Phantombildes zwar gelungen, zwei weitere Zeuginnen ausfindig zu machen, die die gesuchte Frau ebenfalls gesehen und Silke Flohrs Beschreibung bestätigt beziehungsweise geringfügig korrigiert hatten, die Unbekannte zu identifizieren, war ihr jedoch nicht geglückt. Den Verbleib der Kamera dagegen hatte sie klären können: Eine der Zeuginnen, die genau zum Zeitpunkt des Geschehens aus dem Bad gekommen war, hatte die Frau mit einer Kamera in der Hand in Richtung Parkplatz weglaufen sehen. Die Unbekannte sei wie von Sinnen weggerannt, hatte sie erklärt.
Jacqueline Stührers Mail zufolge hatte die Kollegin das Phantombild noch am späten Nachmittag an die Medien weitergeleitet, es zudem ins Internet gestellt.
Braig hatte die Informationen erfreut zur Kenntnis genommen, sich die gesamte Rückfahrt im Zug jedoch vergeblich darum bemüht, Jacqueline Stührer zu erreichen. Er wusste nicht, weshalb er keine Verbindung herstellen konnte, musste unbedingt eine bessere Kommunikation mit ihr in die Wege leiten.
Sein Versuch, die eingegangenen Mails zu sichten, wurde vom Läuten des Telefons sabotiert. Er holte sich das Phantombild der unbekannten Zeugin auf den Bildschirm, sah, dass es sich um eine etwa dreißig Jahre alte Frau mit langen, dunklen Haaren handelte. Sie hatte einen etwas dunkleren Teint, war auf der linken Wange angeblich von einer Verletzung, einem Muttermal oder einer anderen auffälligen Hautveränderung gezeichnet.
Braig musterte ihr Gesicht, griff nach dem Hörer. Die Frau kam ihm unbekannt vor. »Landeskriminalamt, Braig«, meldete er sich.
»Hier ist das Büro von Herrn Staatsanwalt Söderhofer«, antwortete eine weibliche Stimme.
Ein eiskaltes Frösteln breitete sich in seinem Nacken aus. Braig streckte sich, blieb freundlich. »Hallo, Frau Thonak«, sagte er. »Schön, Sie zu hören.«
»Er hat nur noch ein Thema«, sagte sie mit warnendem Unterton. »Die zwei Frauen und die Kamera.«
»Na ja«, meinte er. »Es geht ja nur übers Telefon. Im Notfall unterbreche ich die Lei…«
»Sie unterbrechen überhaupt nichts. Was ist mit den beiden Frauen? Haben wir ihre Identität?« Söderhofers energische Stimme platzte mitten in seine Worte. Braig hatte keine Gelegenheit mehr, sich von Marietta Thonak zu verabschieden, fühlte sich abgeschoben wie der letzte Pennäler. Innerhalb weniger Sekunden hatte die Gänsehaut seinen kompletten Rücken überzogen. Er fragte sich, wie lange er sich diese Behandlung noch gefallen lassen sollte.
»Das Phantombild – wie viele haben es erkannt?«
»Wir sind dabei, die Hinweise auszuwerten.« Braig ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen, um die fernmündliche Attacke besser ertragen zu können, hörte
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