Schwach vor Sehnsucht
abzulehnen.
Den Haushalt für Joshua und sie zu führen hatte Mrs. Barnaby immer Freude gemacht. Sie mochte es nicht, untätig zu sein, und deshalb hatten die vergangenen zwölf Monate schwer auf ihr gelastet. “Ja, danke”, erwiderte Joanna herzlich. “Zum Dessert einen Ihrer leckeren Apfelkuchen?”
“Natürlich. Mit Schlagsahne.”
“Großartig”, sagte Joanna lächelnd.
Mrs. Barnaby ging strahlend vor Glück zurück in die Küche. Bis jetzt hatte Joanna immer abgelehnt, wenn sie vorbeigekommen war und die Haushälterin gefragt hatte, ob sie zum Essen bleiben wolle. Warum an diesem Tag nicht? Weil sie deprimiert war und es hinauszögerte, in ihre einsame Wohnung zurückzukehren? Was auch immer der Grund war, sie hatte Mrs. Barnaby aufgeheitert und brauchte nicht selbst zu kochen.
Joanna warf nur einen Blick in ihr Schlafzimmer und ging dann in Joshuas. Sie hatte bei ihren Besuchen oft einfach eine Zeit lang in dem Sessel am Fenster gesessen oder die Gegenstände auf dem Toilettentisch berührt. Es brachte ihr Joshua irgendwie näher.
“Mrs. Radcliffe, ich … Oh!” Die Haushälterin blieb auf der Türschwelle stehen.
Joanna zuckte schuldbewusst zusammen, als sie im Schlafzimmer ihres Mannes ertappt wurde.
Mrs. Barnaby sah auch verlegen aus. “Möchten Sie eine Tasse Tee?”
“Ja, danke.” Joanna war rot geworden. Es war schlimm genug, dass sie wie eine liebeskranke Idiotin in diesem Raum saß und von Joshua träumte, aber sich auch noch dabei erwischen zulassen …
Mrs. Barnaby ging zurück nach unten, und Joanna wollte ihr schnell folgen. Wie es dazu kam, dass sie stattdessen in Lindys Zimmer landete, konnte sie später nicht sagen. Plötzlich stand sie in dem rosafarben und weiß eingerichteten kleinen Raum, in dem seit dem Tod ihrer Tochter nichts verändert worden war. Tränen strömten Joanna übers Gesicht, während sie die kindlichen Zeichnungen an den Wänden betrachtete, das gemachte Bett, auf dem das Stoffkaninchen lag, die Steppdecke mit dem Katzen-und Hundemuster und die dazu passenden Vorhänge.
Sie hatte die Anweisung gegeben, dass alles unverändert bleiben sollte. Doch in diesem Moment erkannte sie, dass es aufhören musste. Lindy war tot. Sie würde niemals in dieses hübsche Zimmer zurückkommen. Nach zwei Jahren war es Zeit, die Sachen ihrer Tochter wegzuräumen. Und Joanna wusste, dass es ihre Aufgabe war. Sie sortierte gerade die kleinen Kleidungsstücke in den Schubladen, als Mrs. Barnaby mit dem Teetablett an der offenen Tür vorbeiging. Die ältere Frau stieß vor Überraschung einen leisen Schrei aus. Joanna hatte sich inzwischen wieder gefasst, und sie drehte sich freundlich lächelnd um. “Stellen Sie das Tablett einfach irgendwo ab. Ich sehe gerade alles durch. Vieles ist so gut wie neu. Ich bin sicher, in einem Krankenhaus oder Kinderheim würde man sich über die Sachen freuen.”
Mrs. Barnaby zitterten die Hände, während sie das Tablett hinstellte. “Oh, Mrs. Radcliffe …
Ich bin nicht … Ich habe niemals …”
“Ich weiß.” Joanna legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. “Wir alle haben Lindy geliebt. Aber es wird Zeit, dass wir sie ruhen lassen. Haben Sie Kartons, in die ich diese Dinge packen kann?”
Die Haushälterin riss sich zusammen. “Ich finde bestimmt welche. Wollen Sie denn wirklich
…?”
“Ja”, sagte Joanna energisch.
Als sie drei Stunden später das Haus verließ, hatte sie das Gefühl, frei zu sein und die Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Joshua und sie mochten Lindy zuliebe geheiratet haben, doch sie würden um ihrer selbst willen verheiratet bleiben. Sie würde um Joshua kämpfen. Wenn es nicht schon zu spät war.
Die Party lief gut. Dass Joshua eigentlich dabei sein sollte, ahnten die meisten Gäste nicht.
“Also wirklich, Joanna! Musstest du diesen schrecklichen Mann einladen?” Ihre Mutter blickte wütend Dan an, der mit Daphne Shield flirtete. Die ältere Frau lachte gerade geziert über irgendetwas, was er sagte. “Er hat sogar versucht, mit mir zu flirten!”
“Er hat dich zum Tanzen aufgefordert”, sagte Joanna trocken. “Das ist kein Flirten.”
“Sein Tanzen ist genau das!”
Joanna unterdrückte ein Lachen. Dan und ihre Mutter waren sich vor diesem Abend schon mehrmals begegnet, und die Abneigung war gegenseitig. Dan machte sich ein Vergnügen daraus, ihre Mutter zu schockieren, und zweifellos flirtete er nur deshalb mit Daphne. Er war ein schlimmer Junge, und er amüsierte sich
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