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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wenigstens zu kennen; für uns ist
    damit aber, daß wir wissen, wer es ist, noch keineswegs al-
    les erreicht. Wir müssen immer auf unserer Hut bleiben,
    meine Freunde, und jetzt mag Harry auch Nell zu befragen
    suchen. Er muß das tun, und sie wird auch einsehen, daß
    ihr Schweigen jetzt keinen Sinn mehr hätte. Im eigenen In-
    teresse ihres Großvaters muß sie sich aussprechen. Es ist für
    ihn wie für uns gleichermaßen wichtig, seine unheilvollen
    Absichten vereiteln zu können.«
    »Ich bezweifle gar nicht, Mr. Starr«, erwiderte Harry,
    »daß Nell nicht aus eigenem Antrieb Ihren Fragen entge-
    genkommen wird. Sie wissen nun, daß sie nur infolge eines
    vielleicht zu zarten Pflichtgefühls bisher geschwiegen hat.
    Jetzt wird sie gewiß aus demselben Beweggrund nicht mehr
    zögern zu reden. Meine Mutter tat sehr wohl daran, sie in
    ihr Zimmer zu führen. Sie bedurfte gewiß der Sammlung,
    doch jetzt werde ich sie holen ...«
    »Das ist nicht nötig, Harry«, erklang da die sichere und
    helle Stimme des jungen Mädchens, das eben wieder in das
    Zimmer des Cottage zurückkehrte.
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    Nell war bleich; ihre Augen verrieten, wieviel sie geweint
    hatte; sie schien aber entschlossen, dem Zwang des Augen-
    blicks Rechnung zu tragen.
    »Nell!« rief Harry und eilte auf das junge Mädchen zu.
    »Lieber Harry«, antwortete Nell mit einer abwehrenden
    Handbewegung gegen ihren Verlobten, »jetzt müssen dein
    Vater und deine Mutter, jetzt mußt auch du alles erfahren.
    Auch Mr. Starr darf nicht im unklaren sein über das Kind,
    das er annahm, ohne es zu kennen, und das Harry, ach, zu
    seinem Unglück, dem Abgrund entführt hat.«
    »Nell!« rief Harry noch einmal.
    »Laß Nell jetzt sprechen«, sagte James Starr, Harry zum
    Schweigen mahnend.
    »Ich bin die Enkelin des alten Silfax«, fuhr Nell fort. »Nie
    habe ich eine Mutter gekannt, als seit dem Tag, da ich hier-
    her kam«, fügte sie mit einem Blick auf Madge hinzu.
    »Dieser Tag sei gesegnet, meine Tochter!« erwiderte die
    alte Schottin.
    »Ich kannte niemals einen Vater, als seit dem Tag, da ich
    Simon Ford sah«, nahm Nell wieder das Wort, »nie einen
    Freund, als bis Harrys Hand die meinige ergriff. 15 Jahre
    lang habe ich mit meinem Großvater allein in den verbor-
    gensten Schluchten dieser Grube gewohnt – allein mit ihm,
    das will viel sagen. Durch ihn, das wäre richtiger. Ich bekam
    ihn kaum zu Gesicht. Als er aus dem alten Aberfoyle ver-
    schwand, flüchtete er in jene Tiefen, die außer ihm niemand
    kannte. Auf seine Art war er gut zu mir, wenn ich mich auch
    vor ihm fürchtete. Er nährte mich mit dem, was er von oben
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    mitbrachte; doch habe ich eine dunkle Erinnerung, daß
    eine Ziege meine Ernährerin während der ersten Lebens-
    jahre war, deren Verlust mich später tief betrübte. Als das
    der Großvater gewahr wurde, ersetzte er sie durch ein ande-
    res Tier, durch einen Hund, wie er sagte. Leider war dieser
    Hund zu lustig. Er bellte manchmal. Großvater mochte die
    Fröhlichkeit nicht leiden. Er erschrak vor jedem Geräusch.
    Mich hatte er schweigen gelehrt, bei dem Hund gelang ihm
    das nicht. Das arme Tier war plötzlich verschwunden. Groß-
    vater hatte als Gesellschafter einen großen, entsetzlichen
    Vogel, einen Harfang, der mir zuerst unmäßigen Schrecken
    einjagte. Trotz des Widerwillens, den mir dieser Vogel lange
    Zeit einflößte, wurde er doch so zutraulich zu mir, daß ich
    ihn endlich fast lieb gewann. Er gehorchte mir williger als
    seinem Herrn; das beunruhigte mich. Großvater war eifer-
    süchtig. Der Harfang und ich, wir versteckten uns meist, um
    beisammen sein zu können. Wir wußten beide, daß das bes-
    ser war ... Doch ich plaudere da zu viel von mir; ich sollte
    vielmehr von Euch sprechen ...«
    »Nein, meine Tochter«, unterbrach sie James Starr, »er-
    zähl uns alles, wie es die Erinnerung dir eingibt.«
    »Mein Großvater hatte Eure Nachbarschaft in der Koh-
    lengrube immer mit sehr scheelen Augen angesehen, obwohl
    uns ein weiter, weiter Zwischenraum von Euch trennte. Er
    hatte sich ja seine Schlupfwinkel in möglichst großer Ent-
    fernung gesucht. Es mißfiel ihm schon, Euch dort nur zu
    wissen. Fragte ich ihn nach den Leuten da oben, dann ver-
    finsterte sich sein Gesicht noch mehr; er gab keine Antwort
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    und blieb überhaupt stumm für längere Zeit. Besonders
    aber brauste er zornig auf, wenn er zu bemerken glaubte,
    daß Ihr Euch nicht mehr mit dem alten Gebiet

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