Schwarz
talentiert. Oder war es gewesen. In der Studienzeit hatte Ewan einmal aus Sardinen, Nudeln und frischem Ingwer ein Gericht auf Gourmet-Niveau gezaubert. Karas Laune verdüsterte sich, er beschloss, sich und seinem Gehirn einen freien Abend zu gönnen und einen Film anzuschauen. Am nächsten Morgen würden die Ermittlungen zum Mord an Ewan wieder mit Vollgas weitergehen.
Schon als Vorschulkind war er zum Filmfreak geworden, weil sein Vater oft mit ihm ins Kino ging, sie sahen sich Zeichentrickfilme an, und in den ersten Schuljahren folgten dann die Abenteuerfilme. Von klein auf war er ins Kino geflüchtet, wenn sich die Eltern zu Hause besonders heftig stritten. Mit vierzehn Jahren, vor dem Umzug nach London, war es ihm schon manchmal gelungen, ins Arena-Kino in der Hämeentie, ins Bio-Bio in der Mannerheimintie oder ins Cinema in der Museokatu hineinzukommen, wenn Filme ab 18 liefen.
Heute müsste es etwas Langsames, Ironisches mit glänzenden Schauspielern sein, etwas, was ihn ablenkte und einmal nicht an Ewan denken ließ, sagte sich Kara und überflog sein etwa zwanzig Seiten langes Filmverzeichnis. Seit dem Kauf seines ersten DVD-Players vor über zehn Jahren zu einem Wucherpreis hatte er schon eine Sammlung von eintausendfünfhundert Filmen zusammengetragen.
Timothy Spall in »Pierrepoint«, entschied Kara und holte die DVD aus dem Regal. Der Film erzählte vom berühmtesten britischen Henker Albert Pierrepoint, einem bis 1956 tätigen Spezialisten für das Erhängen, und war eine echte schwarze Perle; er hatte ihn nur einmal gesehen und nicht mehr viele Szenen im Gedächtnis. Am besten war ihm in Erinnerung geblieben, mit welcher Präzision die Länge des Galgenstricks festgelegt werden musste: War er zu kurz, wurde dem Opfer das Genick nicht gebrochen, war er zu lang, wurde dem Opfer der Kopf abgetrennt. Der Henker bestimmte die Länge des Stricks nach dem Gewicht des Opfers und der Stärke seines Genicks.
Kara goss ein Whiskyglas halb voll mit Linie-Aquavit aus dem Gefrierfach, ließ sich in den Sessel fallen und verschob die Ereignisse von Khartoum samt dem UNODC und Gilbert Birou in seinem Hirn ins Fach »Mañana«.
***
Der dreistöckige Präsidentenpalast am Ufer des Nil im Herzen Khartoums beeindruckte Oberst Abu Baabas, auch wenn ihn störte, dass der britische Generalgouverneur Gordon im 19. Jahrhundert hier sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Zum Glück war es den sudanesischen Mahdisten schließlich gelungen, Gordon zu töten. Dieser prächtige Rahmen gab Baabas das Gefühl, dass er es in seiner Laufbahn weit gebracht hatte.
Die weiße Galabija und der Imamah-Turban des Vizepräsidenten Rashid Osman glänzten im hellen Sonnenlicht. Die Galabija hing an Osman wie an einem Kleiderständer, doch der Kopf, die an den Ärmelenden hervorschauenden Hände und die Füße bewiesen, dass in dem Gewand ein Mensch steckte.
Baabas folgte Osman in den abgelegensten Winkel des Parks am Palast, den Kopf hielt er wie immer in einem Winkel von etwa zwanzig Grad. Er mochte den jungen Vizepräsidenten nicht, der Mann war ein Intellektueller, der aufrichtig an die Demokratie, an Parteien, den Frieden und ähnlichen Mist glaubte. Osman sah auch genau wie ein etwas zu alter Student aus. Hielt er sich für einen besseren Araber, weil er etwas hellere Haut als er und grüne Augen hatte? Wie zum Teufel war so ein Schlappschwanz in diesem Eiltempo zum Vizepräsidenten aufgestiegen? Und was wollte er diesmal von ihm? Es war eher Osmans und nicht seine Schuld, dass Leo Kara die Flucht aus dem Sudan gelungen war.
»Ich wollte mit dir über die Morde an diesen Ausländern reden«, sagte Osman und strich über seinen Schnurrbart, der die Hälfte seines kleinen runden Gesichts zu bedecken schien.
»Leo Kara von den UN ist mit einer Maschine des WFP aus dem Sudan geflohen, und das etwa zur gleichen Zeit, als wir neue Beweise gegen ihn entdeckt haben«, antwortete Baabas. »Haare von Kara wurden in Ewan Taylors Wohnung gefunden, obwohl derMann versichert hat, er sei nie in der Wohnung gewesen. Und von der Khartoumer Filiale der Al-Baraka-Bank wurden kurz nach dem Mord an dem Witwenmacher dreißigtausend Euro auf Leo Karas Konto bei der britischen Barclays Bank überwiesen. Wie ich gesagt habe, der Mann ist schuldig, man hätte ihn nicht freilassen dürfen.«
Osman reagierte nicht auf die Kritik. »Es gibt also wasserdichte Beweise gegen Kara? Solche, die auch den Anforderungen in westlichen Ländern gerecht
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