Schwarze Blüte, sanfter Tod

zurückgelehnt. Sah aus, als ob sie träumte. Augen zu. Dabei ... so schön war der Fahrer eigentlich nicht.«
    Er ließ den ausgestreckten Arm sinken. Lächelte mich an, als habe er mir soeben verraten, daß meine Lieblingstochter sich in seinem Revier jeden Abend mit einem anderen Herrn in einem anderen Auto zum Austausch von Zärtlichkeiten träfe, wie feine Leute das nennen, was da so auf Autopolstern stattfindet.
    Ich brachte es fertig, mit angemessener Würde zu nicken und dabei zu bestätigen: »Ja, so etwas gibt es.« Dann fragte ich: »Der Fahrer – wie sah er aus?«
    Er beschrieb ihn. Danach konnte es der Kellner Tjiän aus dem Excelsior sein, wo Pipi an der Rezeption stand, aber ebensogut auch der uneheliche Urenkelsohn von Mao Tse-tung. Immerhin erinnerte er sich noch: »Auf der Rückscheibe, wenn Sie das interessiert, pappte einer dieser Aufkleber vom letzten Miguel-Servantes-Konzert, oben in Ma Tau Wei. Wissen Sie, wo während der Darbietungen der Boden der Freilichtbühne im Erholungspark einbrach und die Leute sich vor Freude nicht mehr einkriegten, weil von dem Dicken mit dem Bass bloß noch der Kopf rausguckte ...«
    Ich erinnerte mich. Vor einem halben Jahr. Es war ein Flop gewesen, auch ohne die unbeabsichtigte humoristische Einlage. Ma Tau Wei, überlegte ich. Lag auf Kai Tak zu, den alten Flughafen. Südlich davon lag Hung Hom. Die Bucht, an deren Rand die tote Mrs. Ronaldo angeschwemmt worden war. Die Eisenbahn vom Mutterland her endete dort. Unübersehbare Kaianlagen erstreckten sich da bis beinahe zum Unterwassertunnel hinunter. Und nördlich lag der Steg für die Fähren, die von North Point herauf kamen. Eine geschäftige Gegend. Tausend verschiedene Transportunternehmen operierten ringsumher. Lastwagen warteten in langen Ketten. Überall Berge von Kisten, Containern, Leergut. Gabelstapler befuhren jedes freie Wegstück. Wer in dieser unwirtlichen Landschaft nichts zu suchen hatte, der mied sie. Autos ohne Beulen im Blech gab es hier kaum. Und Leute, die nicht in Overalls herumliefen, mit Schutzhelmen oder Baseballkappen, auch nicht. Wer in diesem Wirrwar nichts zu tun hatte, blieb weg. Allerdings – eine Leiche loswerden, das konnte man hier wohl.
    Â»Ach ja«, hörte ich den Parkplatzwächter sagen, »an der Fahrertür war eine Schrift. Weiß. Auf dunklem Grund. Irgendein Club. Konnte es aber nicht lesen. Ging zu schnell. Gab für mich auch eigentlich keinen Grund, darauf zu achten ...«
    Natürlich nicht! Ich überlegte, was ich hatte. Mrs. Ronaldo traf sich hier mit jemandem, der sie, wie der Modegeck angedeutet hatte, anrief, als sie noch mit ihm parlierte. Fuhr dann mit einem dieser kleinen Daihatsu-Lieferwagen weg, statt mit ihrem Chevy, in dem das Gemüse welkte. Hatte den Kopf weit zurückgelegt. Verträumt. Schlafend? Oder gar ohne Bewußtsein?
    Fahrer klein, unauffällig. Rückscheibe des Autos mit Aufkleber verziert, von Pop-Konzert in Ma Tau Wei, vor einem halben Jahr. Liegt nicht weit von der Küstengegend entfernt, wo Mrs. Ronaldos Leiche antrieb. War der Täter von dort?
    Der Aufkleber sagte nicht allzu viel darüber aus. Zu solch einem Konzert kamen die Leute bis von Aberdeen her!
    Und – ein Clubname auf der Fahrertür? In Hongkong gab es vielleicht eintausenddreihundertzwölf oder ein paar mehr Clubs. Von den Briefmarkensammlern über die verschiedenen Sportarten, die Tierschützer, Schmetterlingssammler, Vegetarier, Amateurköche, Schauspielerfans, Funkbastler, Jesusjünger bis zu den Homoerotikern. Manche Leute zählten sogar die Heilsarmee dazu.
    Das Motiv? Welcher Strolch, der einer betuchten Dame zum Zwecke des Ausnehmens das Genick bricht, übersieht einen Brillanten in der Achtzehntausender-Liga. Die ganze Geschichte fügte sich nicht. Der berühmte Zipfel, an dem man das Schleiertuch packte und von dem, was darunter war, wegzog, fehlte.
    Nun gab es natürlich auch Leute, die brachten jemanden aus purer Mordlust um. Eine Erscheinung, über die sich eine Menge hochbezahlter Psychologen in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert ihre Köpfe zerbrachen. Allerdings – welcher Spontankiller ruft schon jemanden an, der gerade im Teehaus zu den zehntausend Buddhas über ein Geschäft verhandelt? Bestellt ihn auf den Parkplatz, um ihn da umzubringen? Oder zum Umbringen wegzufahren? Nichts an diesem verdammten Fall von Verschwinden