Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Allerdings war ich stets auf Seiten des Imperators. Ich steh einfach auf Uniformen.«
Zauberer und Hexe sahen Lukas fragend an, doch der winkte ab und schnappte sich stattdessen einen Ausstellungskatalog. »Lasst uns anfangen.«
Sie kamen an der beeindruckenden Vorhalle des Historischen Grünen Gewölbes im Erdgeschoss vorbei. In dem Luther-Kabinett war neben vielen anderen Exponaten auch ein Siegelring des Reformators ausgestellt. Mit Bedauern eilte Lukas an den prachtvollen Barocksälen vorbei und ins Obergeschoss, wo der Adamant in dem Neuen Grünen Gewölbe auf sie wartete. Lukas schlug den Katalog auf und deutete auf den direkten Weg zum Grünen Dresden, doch Mephisto schüttelte den Kopf. Er wollte sich erst einen Überblick verschaffen.
Also lotste Lukas seine Begleiter durch diverse Schausäle mit klangvollen Namen wie
Saal der Kunststücke,
Mikro-Kabinett
oder
Raum der königlichen Pretiosen.
Lukas runzelte die Stirn, als er sah, wie schlicht die Räume waren, in denen die wohl wertvollsten Stücke des Museums ausgestellt waren. Statt dem prächtigen historischen Ambiente der unteren Ebenen passierten sie hier eine Vielzahl gläserner Vitrinen auf grünen, blauen und roten Sockeln. Dennoch fesselten einige der Stücke auf ihrem Weg seine Aufmerksamkeit. Der wundersam anmutende Kirschkern mit 185 eingeschnitzten Gesichtern etwa oder die Vitrine mit dem aus Silber und Gold gefertigten Prachtdiorama, das – so besagte es das Schild – den
Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aurangzeb
zeigte. Schließlich erreichten sie das Watzdorf-Kabinett mit dem Grünen Dresden. Ein halbes Dutzend Besucher betrachtete die Auslagen.
Die Anzahl der Kameras auf dieser Etage ließ Lukas’ Mut sinken.
Die kostbare Hutfibel lag hinter Panzerglas und war mit rotem Licht ausgeleuchtet. Keiner der vielen kleinen Edelsteine auf ihr funkelte so verheißungsvoll wie der Grüne Dresden. Er war facettiert und scheinbar in Tropfenform geschliffen. Sie wussten es besser.
»Da ist er«, knurrte Mephisto, der sich den Adamanten genauestens ansah. »Und jetzt auf eure Posten. Famulus, du hast zehn Minuten, dann beginnen wir.«
Lukas und Millepertia wechselten rasche Blicke, und er sah, wie sich Abraham im Gang vor dem Kabinett aufbaute und die Augen schloss.
In zügigem Schlenderschritt verließ Lukas die Schauräume und sah sich nach weiteren Türen und Toiletten um, fand jedoch keine. Das Neue Grüne Gewölbe war so konstruiert, dass die Besucher es nur durch einen Eingang betreten und verlassen konnten. Sicher steckte dahinter Kalkül.
Er betrat den Treppenflur und hielt nach Notausgängen und Türen Ausschau, die tiefer ins Schloss führten, fand jedoch keine, die ihm als Fluchtweg geeignet erschien. Im Erdgeschoss hingegen stieß er auf einen verschwiegen gelegenen Zugang, der seiner Vermutung nach auf den großen Schlosshof führen könnte. Sollte der Hauptausgang bei ihrer Flucht aus irgendeinem Grund versperrt sein, wäre dies hier vielleicht eine Option. Vorsichtig rüttelte er an der Tür, doch sie war verschlossen. Mist, so viele von diesen Springwurzeln besaß er nicht. Einen Moment lang haderte er mit sich, wartete ab, bis eine weitere Besuchergruppe an ihm vorbeigegangen war, und benutzte dann doch das Kraut. Er hatte den Knauf kaum berührt, da zerfiel die Pflanze bereits zu Asche. Dafür klickte es.
Er stieß einen leisen Pfiff aus und betrat einen Korridor, von dem mehrere schlichte Türen abzweigten. Es roch nach Kaffee und statischer Elektrizität. Wo war er? Er warf einen vorsichtigen Blick in den ersten Nachbarraum, und ihm war, als erlebe er ein Déjà-vu. Ebenso wie in von Nettesheims Villa starrte er auf diverse Monitore, auf denen Saalausschnitte, Vitrinen und goldene Schaustücke zu erkennen waren. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Unter allen möglichen Türen hatte er ausgerechnet die zu den Sicherheitseinrichtungen des Museums erwischt. Lukas grinste. Glück musste man haben.
Im Gang war das Rauschen einer Toilette zu hören. Lukas sprang aufgeschreckt in den Raum mit den Monitoren und sah sich hektisch um. Alles, was er entdeckte, war ein dampfender Becher Kaffee. Einen Ausweg gab es nicht. Nicht einmal ein Versteck unter den Tischen. Verdammt!
Hinter ihm ertönten Schritte. Kurz darauf erschien der Wachmann in der Tür. Lukas, der bereits ein betretenes Lächeln aufgelegt hatte, um den harmlosen, verirrten Touristen zu mimen, erstarrte. Das konnte, das
durfte
doch wohl nicht wahr
Weitere Kostenlose Bücher