Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
kramte er in den Taschen seiner Jacke nach dem Schließfachschlüssel. Er fand ihn neben Trickwürfeln, einem Kartenspiel und alten Einkaufszetteln. Wenn
er
ihn noch hatte, wie war dann dieser Taxifahrer an sein Gepäck gelangt? Die Rätsel nahmen kein Ende.
Die Dame an der Rezeption tippte etwas in ihren Computer und lächelte. »Ah, da habe ich Sie ja. Lukas Faust, richtig? Wie witzig. Es kommt nur selten vor, dass ein Faust unser historisches Faustzimmer bucht. Nicht, dass Sie sich da oben vom Teufel holen lassen.« Sie zwinkerte ihm freundlich zu und reichte ihm den Anmeldebogen. »Wenn Sie das bitte noch ausfüllen würden.«
Lukas machte gute Miene zum bösen Spiel. Natürlich könnte er jetzt sein Gepäck nehmen und draußen in der Nacht sein Glück versuchen. Nur befürchtete er, dass er dann keine Antworten auf seine Fragen bekommen würde. Und von denen hatte er inzwischen einige. Rasch erledigte er die Formalitäten und sah so erstmals, wo er gelandet war: im Gasthaus zum Löwen. Zufall?
Lukas runzelte die Stirn, während er sich in das Faustzimmer einschrieb, in dem sein berüchtigter Namensvetter angeblich einst zu Tode gekommen war. Es war separat gelistet, etwas teurer als die anderen, und Lukas fragte sich unwillkürlich, ob die ganze Schauergeschichte rund um diesen Raum mehr war als der Clou einer gewieften Marketing-Abteilung. Er setzte seine Unterschrift unter das Anmeldeformular und sah wieder zu der Rezeptionistin auf. »Und meine, ähm, Freundin ist schon oben?«
Die Dame warf einen Blick aufs Schlüsselbord. »Ja, sie hat den Schlüssel bereits abgeholt. Es ist das Zimmer Nummer fünf. Einfach dort entlang und die Treppe nach oben.« Sie beugte sich über den Tresen und wies ihm den Weg.
Lukas nahm den Rucksack auf und folgte dem Fingerzeig. Zu seinem Erstaunen stieß er auf halbem Weg nach oben auf eine gusseiserne Tür- und Gitterkonstruktion, die ihn vermutlich gedanklich auf das sechzehnte Jahrhundert einstimmen sollte. Hübsch, aber auch gruselig. Abermals versuchte er sich daran zu erinnern, auf welche Weise er in das Hotel gelangt war. Doch die vergangenen Stunden waren wie weggewischt. Was blieb, war eine tiefe Verunsicherung. Und die behagte ihm erst recht nicht.
Die Nummer fünf war leicht zu finden, denn auf der schwarz gestrichenen Zimmertür prangte in gotischer Schrift
Dr. Faust.
Die Tür war nur angelehnt; aus dem Inneren erklang das Rauschen einer Dusche. Misstrauisch trat er ein und sah sich in dem schummrigen Raum um. Das Faustzimmer war nicht allzu groß, doch die Betreiber des Löwen hatten sich einiges einfallen lassen, um den Gast stimmungsvoll in die Zeit der Renaissance zurückzuversetzen. Das Fenster zum Innenhof war mit bunten Motiven der Faustsaga geschmückt, die Ecke daneben mit ihrem achteckigen Tisch und den blutrot gepolsterten Stühlen wie ein Alkoven gestaltet. Die angrenzende verglaste und stimmungsvoll beleuchtete Wandnische war mit alchimistischen Gerätschaften gefüllt. Den eigentlichen Blickfang bildete jedoch das breite, von einem dunklen, hölzernen Baldachin überdachte Himmelbett. Die Nachttischlampe beleuchtete die zur Zimmertür weisende Holzfläche, auf der reliefartig das Konterfei eines gelockten Mannes mit Bart und Umhang prangte. Der geschnitzte Schriftzug darunter stellte unmissverständlich klar, dass es sich bei der Abbildung um den Zauberer und Alchimisten Doktor Faust handelte. Netter Marketinggag. Lukas zweifelte daran, dass er tatsächlich so ausgesehen hatte. Ebenso wie er daran zweifelte, dass es sich bei dem Interieur im Raum um die echte Möblierung aus der damaligen Zeit handelte. Und doch strahlte das Zimmer etwas aus, das sich schwer in Worte fassen ließ. Nichts Greifbares. Es war eher wie ein Hauch, der seine Sinne streifte. Unwirklich. Unheimlich. Lukas schloss die Tür, deren Schloss gleichfalls in altertümlichem Schmiedestil gehalten war, schüttelte sich und wandte sich verärgert der Badtür zu. »Ich hoffe, du hast mitbekommen, dass ich da bin!«
Die Dusche wurde abgestellt.
Lukas stellte seinen Rucksack neben den offenen Kleiderschrank, der an einen mittelalterlichen Stadtturm gemahnte, und griff gereizt nach einer Karte, die auf dem Nachttisch stand. Sie informierte den Gast über die Geschichte des Hotels. In ihr befand sich auch jene denkwürdige Inschrift, die er bereits am Vormittag auf der Außenfassade des Gebäudes erblickt hatte:
Anno 1539 ist im Leuen zu Staufen Doctor Faustus
so ein wunderbarlicher
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