Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Freikugel aus der Jacke und lud vorsichtshalber das leergeschossene Rohr der Muskete nach. Er war gerade fertig, als Millepertia zurückkehrte und ihn entsetzt ansah. »Hast du eben allen Ernstes die siebte Freikugel geladen?«
»Blödsinn.« Lukas wühlte in seiner Jackentasche und wurde bleich. »Das kann doch nicht wahr sein!« Hektisch durchsuchte er auch die andere Tasche und zählte in Gedanken ab, wie oft er bislang mit der Flinte geschossen hatte. Fünf Mal. Die sechste Kugel steckte noch im Lauf, also hatte er gerade tatsächlich die siebte Kugel geladen. »Dieser elende Mistkerl!« Fluchend sprang er auf. »Wenn Mephisto eben nichts gesagt hätte, hätte ich diesen Fehler nie begangen.« Panisch klopfte er mit den Mündungsläufen auf einen Stein, doch die beiden Kugeln wollten einfach nicht herausfallen.
Abraham schüttelte den Kopf. »Ich hatte Euch gewarnt. Die Kugeln sind verflucht. Sie
wollen
abgefeuert werden.«
»Wenn Mephisto glaubt, mich hereinlegen zu können, hat er sich getäuscht«, fauchte Lukas. »Ich werde die Flinte nicht mehr anrühren. Besser noch: Ich vergrabe sie. Und dann wollen wir doch mal sehen, ob …«
Ein deutlich vernehmbares Knistern ließ ihn innehalten. Ebenso wie Abraham und Millepertia blickte er in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Schräg unterhalb des von der Linde bewachsenen Hügels wölbte sich eine Rosenhecke wie eine gewaltige Blase aus Ranken und Blüten nach oben. Das Dornengestrüpp riss mit einem hässlichem Laut auf, und heraus kletterte ein bizarr anmutendes Wesen mit überlanger Nase, hochstehenden Wangenknochen und schiefen Zähnen, das ihm in all seiner Hässlichkeit den Atem verschlug.
Alberich reichte ihnen höchstens bis zur Brust. Seinen Kopf krönten schwarze, spitz zulaufende Fledermausohren, und die Gelenke seiner dürren Beine wirkten wie verknotet. Sie trugen einen fehlproportionierten Körper mit Kugelbauch und viel zu langen Armen. Zwar war der Schwarzalbenkönig in feinste Stoffe gekleidet, die über dem Bauch von einem prachtvollen Gürtel aus Goldlamellen gehalten wurden, doch konnten auch sie die spitzen Buckel nicht verbergen, die verdächtig nach abgerissenen Flügelstümpfen aussahen. Unwillkürlich hob Lukas die Flinte.
»Endlich!«, schnarrte der Schwarzalb, während er sich im Garten umsah. Dann ruckte sein Fledermausschädel herum, und er stierte zur Linde empor. Lauernd stelzte er durch die Hecken auf sie zu; sein Blick irrlichterte zwischen ihnen und den geschmiedeten Vögeln hin und her. »Zauberer- und Hexenpack. Was treibt ihr hier?«
»Wir begrüßen dich ebenfalls, Albenkönig«, sprach Abraham mit fester Stimme. Längst hielt er zwei Gemmen sowie seine Armillarsphäre in Händen.
»Darauf verzichte ich, ihr dreckigen Diebe. Das ist mein Garten. Mein Grund und Boden.«
»Niemand streitet ab, dass du diesen Garten einst angelegt hast«, antwortete Abraham, »nur scheinen mir die heutigen Besitzverhältnisse eher ungeklärt.«
»Ich weiß schon lange, dass ihr euch hier wie einst Kriemhild breitgemacht habt«, zischelte das Wesen. Sein Blick glitt hinüber zu Millepertia. »Ich konnte den Garten vielleicht nicht betreten, aber ich konnte dich beobachten.«
»Freu dich, denn ich war es, die dir die Rückkehr ermöglicht hat«, log die Hexe. »Etwas mehr Dankbarbeit wäre also angebracht.«
»Dankbarkeit?« Der Schwarzalb spie zu Boden. »Offenbar wisst ihr nicht, wem ihr gegenübersteht!« Er nestelte an seinem Gürtel und lächelte hinterhältig. »Ich könnte euch mit den Kräften meines Zaubergürtels zerreißen.«
»Und wir können deine Vögelchen da oben im Baum jederzeit dazu bringen, dich mit ihren Misstönen wieder aus dem Garten zu werfen«, brummte Abraham unbeeindruckt. Bluffte er? Lukas nahm es an. »Geschweige denn von den arkanen Implikationen, die es hätte, wenn ich meinen Lehrling bitte, sie zu zerstören.«
Lukas hob vorsichtshalber die Flinte und zielte wie zufällig auf eines der blechernen Tiere.
Alberich fixierte die Waffe zornig. »Noch mal: Was wollt ihr?«
»Wir erbitten einen Gefallen.« Abraham trat würdevoll vor und blieb keine zwei Schritt vor dem Schwarzalb stehen.
»Warum sollte ich dir einen Gefallen erweisen? Du bist ein Zauberer. Ein Teufelspaktierer. All dein Tun zielt darauf ab, deine Macht zu mehren, zu lügen und zu betrügen.«
»Seltsam«, mischte sich Lukas erstmals ein. »Ähnliches haben wir von dir gehört.«
Der Schwarzalb stieß ein beleidigt klingendes
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