Schwarzer Mond: Roman
sieben Menschen im Jeep jemals wiedersehen würde. Sie hatte sie in diesen wenigen Tagen alle ins Herz geschlossen. Sie hatte Angst um sie.
Wir lieben. Das ist es, was uns vom Vieh auf der Weide unterscheidet.
Jacob, ihr Vater, hatte das immer gesagt. Intellekt, Tapferkeit, Liebe, Freundschaft, Mitleid und Einfühlungsvermögen - jede dieser Eigenschaften sei für die Spezies Mensch von gleicher Bedeutung, hatte Jacob gesagt. Manche Leute glaubten, nur der Intellekt sei wichtig, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, vorwärtszukommen, seinen Vorteil zu erkennen und zu nutzen.
All das waren wichtige Faktoren, die viel zur Entwicklung und zur Überlegenheit der menschlichen Rasse beigetragen hatten, aber die vielfältigen Funktionen des Intellekts blieben ohne Tapferkeit, Liebe, Freundschaft, Mitleid und Einfühlungsvermögen doch immer unvollkommen. Wir lieben. Das ist unser Fluch, aber auch unser Segen.
Zuerst befürchtete Parker Faine, dass der Pilot der kleinen, zehnsitzigen Zubringermaschine in diesem Sturm keine Landung wagen, sondern statt dessen einen anderen Flughafen weiter südlich in Nevada anfliegen würde. Als das Flugzeug aber dann durch die Wolken stieß, wünschte er fast, dass es abgedreht hätte. Sogar für einen erfahrenen Piloten war eine Landung, bei der er sich nur auf seine Instrumente verlassen konnte, bei derartigem Wind und Schneegestöber eine riskante Sache.
Aber kurz darauf rollte die Maschine auf dem Boden aus - eine der letzten, bevor der Flughafen Elko wegen des Sturmes geschlossen werden musste.
Auf diesem kleinen Flughafen gab es keine überdachte Fluggastbrücke. Parker eilte mit eingezogenem Kopf über das Rollfeld auf die Tür der kleinen Abfertigungshalle zu, während die vom Wind gepeitschten Schneeflocken wie Tausende feiner kalter Nadelstiche auf seiner nackten Gesichtshaut brannten.
Nach der Landung in San Francisco hatte er sich in einem Flughafenladen eine Schere und einen Elektrorasierer gekauft und in der Herrentoilette hastig seinen Bart abrasiert. Seit zehn Jahren hatte er sein Gesicht nicht mehr ohne diese Manneszierde gesehen, aber es war viel hübscher, als er erwartet hatte. Er stutzte auch seine Haare. Mitten in dieser Verwandlungsaktion fragte ihn ein Mann, der sich im Waschbecken neben ihm die Hände wusch, scherzhaft: »Auf der Flucht vor den Bullen, was?«
Parker antwortete: »Nein, vor meiner Frau.«
Und der Mann sagte: »Ich auch«, so als wäre es ihm ernst damit.
Um keine Spur zu hinterlassen, hatte er das Flugticket nach Reno nicht mit seiner Kreditkarte, sondern bar bezahlt. Nach fünfundvierzigminütigem Flug über die Sierra Nevada hatte er dann in der >Größten Kleinstadt der Welt< das Glück gehabt, in einer kleinen Maschine nach Elko, die in zwölf Minuten starten sollte, noch einen Platz zu bekommen. Wieder hatte er das Ticket bar bezahlt, obwohl er danach nur noch 21 Dollar im Geldbeutel hatte. Zweieinviertel Stunden hatte der sehr unruhige Flug über das Große Becken in den Nordosten Nevadas gedauert, aber Parker hatte diese Strapaze geduldig ertragen, denn er fühlte, dass sein Freund in großer Gefahr war.
Als er nun in das schlichte, aber saubere kleine Gebäude stürmte, in dem sich die Flughafenbüros und die Abfertigungsschalter befanden, hätte er eigentlich von seinem schrecklichen Erlebnis in Monterey und von seiner hektischen Reise erschöpft sein müssen, aber seltsamerweise fühlte er sich vital und energiegeladen, geradezu kraftstrotzend; wie ein Bulle, der auf ein Feld stürmt, um mit einem die Schafherde bedrohenden Fuchs abzurechnen.
Er fand die beiden öffentlichen Fernsprechzellen, von denen nur eine funktionierte. Er suchte die Nummer des Motels heraus und versuchte, Dom anzurufen, aber die Leitung war tot. Er hoffte, dass der Sturm daran schuld war, aber er befürchtete etwas anderes, und er war sehr beunruhigt. Er musste ins Tranquility Motel, und zwar schnell. Er spürte, dass er dort gebraucht wurde.
Zwei Minuten später wusste er, dass es hier keine Mietwagenagentur gab; und das kleine städtische Taxiunternehmen, das nur drei Wagen besaß, hatte wegen des Sturmes so viel zu tun, dass er mit einer Wartezeit von anderthalb Stunden rechnen musste.
In der Abfertigungshalle befanden sich noch einige der Passagiere seines Fluges sowie ein paar andere, die offenbar mit einer Privatmaschine im letzten Moment vor Schließung des Flughafens gelandet waren. Parker sprach mehrere von ihnen wegen einer Mitfahrgelegenheit
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