Schwarzwaelder Dorfgeschichten
kann nicht Geistlich werden; glaubet Ihr denn, ich hätt' Euch den Kummer gemacht, wenn ich anders könnt'? Ich kann nicht.«
»Sag nicht: ich kann nicht. Das ist nicht fromm; will du nur recht, nimm dich recht fest zusammen und schüttel' all das böse Gelüst von dir, es muß gehen. Der Allbarmherzige wird dir helfen, und du bist wieder unser Glanz und unser' Freud', und bist ein fromm Kind vor Gott und den Menschen.«
»Ich bin nicht schlecht, liebe Mutter, aber ich kann nicht Geistlich werden. Zerreißet mir das Herz nicht so. Ach! ich möcht' Euch ja so gern folgen, aber ich kann nicht.«
»Laß ihn zum Teufel gehen, den Halunk'!« sagte der Vater, Christinen von ihrem Sohne wegreißend, »kannst du denn dein' Mutter so bitten und betteln sehen?«
»Zerreißet mich!« rief Ivo, »aber Geistlich kann ich nicht werden.«
»'naus, fort, 'naus, oder ich vergreif' mich an deinem Leben!« rief Valentin, der Schaum stand ihm vor dem Munde, er riegelte die Thüre auf und schob Ivo hinaus.
»Es ist vorbei,« sagte Ivo tief aufathmend und schwankte die Treppe hinab. Von droben vernahm man ein Poltern, die Thüre wurde aufgerissen, und die Mutter kam herab; Hand in Hand ging sie mit ihrem Sohne bis vor das Kloster, sie redete kein Wort; nur als sie jetzt Abschied nahm, sagte sie:
»Gib mir dein' Hand drauf, daß du's noch überlegen willst, und daß du dir kein Leid an deinem Leben anthust.«
Ivo versprach's und ging still in seine Klause, der Boden wankte unter ihm, aber in dem tiefsten Kern seiner Seele stand der Gedanke fest und aufrecht, sich durch keinerlei kindliche Bewegungen zu einem Lebensberufe hindrängen zu lassen. »Ich habe Pflichten gegen mich selber und muß selber für mich einstehen,« sagte er zu sich. »In den Tod könnte ich gehen, um meiner Mutter zu willfahren, aber ein Leben, zu dem der innerste Beruf allein berechtigt, kann und darf ich ohne diesen nicht über mich nehmen.«
In der Nacht aber erwachte Ivo plötzlich, es war ihm, als ob er durch einen Schrei seiner Mutter aufgeweckt worden wäre; er richtete sich in seinem Bette auf, und jetzt gedachte er, welch einen hohen, heiligen Beruf er zu verlassen gedenke, die ganze Herrlichkeit des geistlichen Amtes stand vor seiner Seele: ein liebender, tröstender, hilfreicher Freund der Armen und Bedrängten, ein Vater der Waisen und Verlassenen, ein Spender des Lichts und des Heils in allen Seelen. Er sah über all die theologischen Satzungen weg, ja, er gedachte, mitzukämpfen den heiligen Kampf der Befreiung von Aberwitz und Menschensatzung und den kommenden Geschlechtern das reine Licht des Himmels zu sichern; er kämpfte alle Erdenlust und alle Selbstsucht in sich nieder, er wollte leben für andere und für die andere Welt – kein Tag sollte vorübergehen, an dem er nicht eine Seele erquickt, ein Herz erfreut.
»Wo ein armes Erdenkind in schwerem Harme weint, da will ich sein Wehe in mein Herz aufnehmen und es darin auskämpfen lassen. Ich will die Thränen der Trauernden trocknen, und du, o Herr! trockne die Thränen von meinem Antlitze, wenn mein Geist erlahmt und ich nächtlich weine über mein armes, verlassenes Leben!«
So sprach Ivo vor sich hin, und ihm war so leicht und frei; es war ihm, als ob er, aller irdischen Schwere entbunden, sich jetzt hinaufschwingen müsse zum Urquell der Seligkeit. Und dann fühlte er sich wieder so siegesmuthig, so kraftdurchströmt, als müsse er sich plötzlich in das heißeste Gewühl der Schlachten stürzen; entzückt dachte er an den Jubel, den seine Rückkehr zu seinem Berufe im elterlichen Hause erwecke – aus seligem Entzücken wurde er wieder hinübergetragen in das Reich des Traumes.
Andern morgens schrieb Ivo einen Brief nach Hause, worin er mit tiefem Ernste und siegesfroher Zerknirschung die Rückkehr zu seinem Berufe verkündete und die Hoheit seines Wirkens pries. Was er aus Nachgiebigkeit gegen seine Eltern nicht thun konnte, das hatte er jetzt aus freier Selbstbestimmung vollführt. Als er wiederum an dem Briefschalter stand und das Schreiben durch den Schieber hinabglitt, da deuchte ihm dies wie der scharfe Schnitt eines Richtschwerthes, er hatte sich selbst das Urtheil geschrieben und vollzogen; kopfschüttelnd ging er nach dem Kloster zurück, die Kraft seines Wesens war gebrochen und klaffte im Zwiespalt auseinander. Mit allem Aufgebot seiner Willenskraft gab er sich nun wiederum dem Studium hin, es gelang ihm, für einige Zeit Friede und Beruhigung darin zu finden.
Zu Hause
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