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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ihr darlegen, welche Konsequenzen eine offizielle Meldung haben würde: erst die Kripo und die Gerichtsmedizin, dann natürlich allerlei Befragungen und schließlich die Presse. Ganz zu schweigen von den erhitzten Gemütern. So ein Fund ist immer heikel. Der ganze Kreis gerät ins Fadenkreuz der internationalen Presse. Die Sache würde einiges aufwirbeln, in diesem Fall wohl vor allem Wind und Gestank. Deshalb werde ich der alten Frau wahrscheinlich empfehlen, gar nichts zu tun und den Stein und das Grab einfach da zu lassen, wo sie sind.«
    »Ehrlich?«, fragte Anja verblüfft.
    »Ja. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde die Tatsache, dass eine Familie fünfzig Jahre lang dieses Grab gepflegt und die Erinnerung an dieses unbekannte Opfer trotz allem wachgehalten und darunter offenbar immer auch gelitten hat, irgendwie tröstlicher als die Vorstellung eines kurzen Aufschäumens und dann sicher endgültigen Verpuffens dieser Geschichte in der Tagespresse. Vielleicht irre ich mich. Ich habe mich noch nicht entschieden. Was würden Sie tun?«
    Anja hatte keine Antwort parat. Skrowka beobachtete sie eindringlich. Sie spürte, dass der Mann sich nur deshalb so viel Zeit für sie nahm, weil er ihre Geschichte hören wollte. Namen. Orte. Aber konnte sie ihm trauen? Und wusste sie selbst überhaupt, was sie hier wollte? Schon auf seine einfachsten Fragen hatte sie keine Antwort.
    Skrowka sah wieder auf die Uhr. »Es ist jetzt halb eins. Gegen zwei fahre ich zu Frau Altmeier. Wollen Sie nicht mitkommen?«
    »Meinen Sie das ernst?«
    »Würde ich es sonst vorschlagen?«
    Sie musterte ihn unsicher. Die Röte aus seinen Wangen war verschwunden. Dafür hatten seine Augen etwas Forderndes bekommen.
    »Sie sind zu mir gekommen, weil Sie nicht wissen, was Sie mit Ihrem Fund machen sollen. Ist es nicht so?«
    »Sollte ich denn das Gleiche tun wie Frau Altmeier?«, fragte sie. »Das alles irgendwo im Wald vergraben?«
    »Ich weiß es nicht, Frau Grimm. Jeder Fall liegt anders.«
    »Manche Wahrheiten sollte man besser nicht suchen?«
    »Suchen schon. Aber was dann? Was machen wir damit? Das ist die Frage. Mein Gefühl sagt mir, dass die Geschichte von Frau Altmeier zu Ende ist. Was gewinnen wir, wenn wir sie jetzt noch ans Licht zerren und versuchen, sie auszudeuten? Und was verlieren wir möglicherweise? Vielleicht irre ich mich. Vielleicht ändere ich meine Meinung, wenn ich dort gewesen bin und die alte Frau gesehen habe. Oder ihre Tochter, die übrigens panische Angst davor hat, mich zu treffen.«
    »Angst?«
    »Ja. Sie glauben ja nicht, was für Emotionen derartige Geschichten hier auslösen können. Ich bekomme regelmäßig Droh- oder Schmähbriefe, nur weil ich Fragen nach dieser Zeit stelle.« Er unterbrach sich. Aber Anja sagte nichts. »Ich helfe Ihnen, so gut ich kann, Frau Grimm. Aber Ihre Geschichte hat noch keine klaren Konturen für mich. Ich weiß nicht, was ich Ihnen raten soll.«
    Anja betrachtete Skrowka unschlüssig, wie er barfuß auf einem Granitstein vor ihr stand. Er beeindruckte sie. Er erinnerte sie an ihren Lieblingslehrer, der dieselbe Fähigkeit hatte: Er machte abgegriffene Wörter lebendig, brachte sie in überraschende Zusammenhänge und ließ sie dann wie unerlöst umherschwirren.
    Ihr Handy summte. Sie zog es aus der Tasche und warf einen raschen Blick auf die Anzeige. Ich muss dich dringend sprechen. Bitte rufe sofort zurück. Lukas.
    »Hoffentlich keine schlimme Nachricht«, sagte Skrowka.
    »Nein«, sagte sie, löschte die Nachricht genervt und steckte das Handy wieder ein.
    »In etwa einer Stunde fahre ich zu Frau Altmeier. Kommen Sie doch mit. Verschaffen Sie sich selbst einen Eindruck. Und dann entscheiden Sie.«
    »Ich?«
    »Ja. In der Zwischenzeit können Sie sich noch ein wenig im Archiv umschauen. Wollen Sie ein paar Namen überprüfen?«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wandte sich um und balancierte vorsichtig über die Steine bis zu der Stelle, wo ihre Schuhe und Strümpfe lagen. Skrowka tat es ihr gleich. Kurz darauf folgten sie dem Pfad, der aus dem Steinbruch heraus zurück auf die Dorfstraße führte. Der Ort lag wie zuvor still und friedlich in der Mittagssonne, mit seiner Burgruine, dem Kirchturm, der Bäckerei und der Neubausiedlung. Nur ein paar Vögel zwitscherten in der ansonsten ohrenbetäubenden Stille.

44
    W as willst du, Rupert?«
    »Wir müssen reden.«
    »Reden? Worüber reden?«
    »Über Anja.«
    Er konnte regelrecht hören, wie Lukas das Blut in den Kopf

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