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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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am Wagen auf sie wartete. Im Moment hatte sie das Gefühl, die Situation halbwegs entschärft zu haben. Aber wie würde Xaver reagieren, falls Obermüller jetzt auftauchen würde, um nach ihr zu suchen? Würde er sich bedroht fühlen, das Gewehr wieder hochreißen?
    »Ich werde jetzt nach Hause gehen, Xaver, ja? Ich nehme meine Sachen mit und werde auch nicht mehr hierherkommen. Einverstanden?«
    Er senkte den Kopf und blickte sie finster an. Dann verzog er den Mund und legte den Kopf schräg. Wie war es nur möglich, dass dieser verstörte Mensch mit einer Waffe in diesem Wald herumlaufen konnte?, dachte sie erbost. Sie musste das sofort melden. Er war unzurechnungsfähig und musste beaufsichtigt werden. Das musste seine Familie doch wissen.
    Sie ließ noch einige Augenblicke verstreichen, um sicherzugehen, dass ihre Botschaft in sein verwirrtes Hirn gedrungen war, und sammelte dann ihre Gerätschaften vom Boden auf. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie ihn in Richtung Hinterweiher davonmarschieren.
    Erst jetzt begann sie zu zittern und zu frösteln. Ihr Hemd war schweißdurchtränkt. So schnell sie konnte, durchquerte sie das Waldstück nach Faunried und verlangsamte ihren Schritt erst, als sie ihren VW-Bus durch die Bäume ausmachen konnte. Obermüller lehnte am Heck und rauchte.
    »Wo waren Sie denn so lange?«, wollte er wissen, als sie die Seitentür öffnete und ihr Gerät ohne Rücksicht auf den Krach einfach hineinwarf.
    »Für kleine Mädchen«, sagte sie tonlos, zog die Tür mit Schwung wieder zu und fügte mit einem Blick auf seine Zigarette hinzu: »Geben Sie mir auch eine?«

8
    H einbichler sah Xaver nach, wie er sich zum Nordrand der Wiese bewegte und dort zwischen den Bäumen verschwand. Dann folgte sein Blick der Frau, die es nun offensichtlich sehr eilig hatte, von hier wegzukommen. Kaum eine Minute später war auch sie im Wald verschwunden, und der Haingries lag so unberührt und verlassen da wie eh und je. Er wartete noch einige Minuten. Erst dann trat er aus der Dickung heraus.
    Wahrscheinlich war es bereits zu spät, dachte er, nahm aber dennoch die Verfolgung Xavers auf. Er überquerte die Wiese und schlug am Nordende den Waldweg nach Hinterweiher ein. Warum Xaver in diese Richtung verschwunden war, konnte er sich nicht erklären, denn der Leybachhof lag in westlicher Richtung. Aber bei dem Kerl wusste man nie, was er als Nächstes tun würde. Er musste ihn rasch finden und zur Rede stellen.
    Doch von Xaver war keine Spur zu entdecken. Heinbichler kannte diesen Wald. Er wusste, wie man ihn durchkreuzen musste, um jemanden aufzuspüren.
    Aber nach einer längeren ergebnislosen Suche kam er zu dem Schluss, dass Xaver mittlerweile auf den Leybachhof zurückgekehrt sein musste. Er machte sich auf den Weg dorthin, wusste allerdings nicht, was er tun sollte, wenn er Xaver gestellt haben würde. Wie sollte er diesen Zwischenfall handhaben? Würde die Frau zur Polizei gehen und den Fall melden? Gewiss. Und dann? Es würde auf jeden Fall Ärger geben. Jemand musste Xaver das Gewehr wegnehmen. Sofort, bevor doch noch ein Unglück geschah. Polizei konnte ja wohl niemand brauchen.
    Kurz darauf zeigte ihm zorniges Hundegebell an, dass Xavers bösartiger Köter ihn bereits gewittert hatte. Als er nah genug an den Hof herangekommen war, musterte er argwöhnisch den Vorplatz zwischen Haupthaus und Stall. Der Hund befand sich offenbar im Zwinger, sonst wäre er spätestens jetzt auf ihn zugerast.
    Je näher er dem Haus kam, desto wütender wurde das Gebell. »Xaver!«, rief Heinbichler laut und sah sich suchend um. Der Hund tobte. Aber das war auch alles, was sein Rufen bewirkte. »Xaver«, rief er erneut. »Bist du hier?«
    Er ging zur Eingangstür des Haupthauses und klopfte an. Keine Reaktion. Nur erneutes Bellen und zorniges Klirren einer Kette. Heinbichler drückte die Klinke und betrat den Flur. Abgestandene Luft schlug ihm entgegen, Modergeruch, vermischt mit dem stechenden Gestank nach Desinfektionsmittel.
    »Anna?«, rief er jetzt. »Waltraud? Ist da jemand? Ich bin’s, Rudolf.«
    Stille. Er durchquerte den Flur und erreichte die Küche. Der Anblick ließ ihm den Atem stocken. So ein Dreck! Fliegen summten über abgegessenen Tellern. Aus einer Obstschale mit vergammelten Äpfeln wogte ein Schwarm Fruchtfliegen empor, als er daran vorüberging. Er zog ein Taschentuch hervor, drückte es gegen Mund und Nase. Sollte er hinaufgehen und nach Anna sehen? Er machte ein paar Schritte auf die Treppe zu,

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