Schwelbrand
Zeitlich – meine ich. Wie war das noch gleich? ›Der Teufel macht immer auf den größten Haufen.‹«
»Der beginnt aber allmählich zu stinken«, erwiderte Lüder.
»Wie gehen wir weiter vor?«
»Wir haben im Augenblick viele Baustellen«, sagte Lüder. »Wo sollen wir beginnen? Ich werde zunächst einmal in der naturwissenschaftlichen Kriminaltechnik anrufen.«
Er ließ sich mit der Leiterin verbinden.
»Hallo, Frau Dr. Braun. Ich möchte Sie ungern behelligen, aber uns läuft die Zeit davon. Gibt es Neuigkeiten?«
»Wir arbeiten fortwährend an den Analysen, die Sie von uns erwarten«, antwortete die Wissenschaftlerin spitz. »Das Nylonseil, mit dem das Opfer von der Brücke in Husum herabgelassen wurde, können Sie in jedem Baumarkt erwerben. Es ist Meterware und wird von der Rolle verkauft. Interessieren Sie noch weitere technische Details wie die Materialzusammensetzung? Die Windungen je Meter? Die –«
»Danke«, unterbrach Lüder. »Können Sie mir den Hersteller und die Dicke des Seils angeben, damit wir bei den Baumärkten nachfragen können?«
»Wenn Sie Ihren Posteingang etwas gründlicher verfolgen würden, wüssten Sie, dass wir Ihnen diese Informationen bereits zugeschickt haben. Es gibt aber noch etwas. Wir haben das Heftpflaster, das dem Opfer um den Mund geklebt war, zur Universität Münster geschickt.«
»Zur Zweitverwertung«’, sagte Lüder.
»Bitte?«
»Damit man es dort als recyceltes Pflaster wieder einsetzen kann? Der Staat muss schließlich an allen Ecken sparen.«
»Ich habe keine Zeit für Ihre Art von Scherzen. Irgendwer muss das Pflaster dem Opfer auf den Mund geklebt haben. Die Uni in Münster verfügt derzeit als einzige Institution in Deutschland über Möglichkeiten, DNA-Spuren zu analysieren, die wir nicht mehr nachweisen können.«
»Also Mikropartikel«, warf Lüder ein.
»Wenn Sie es so laienhaft ausdrücken möchten-ja.«
Lüder bedanke sich und rief anschließend bei der Husumer Kripo an. »Hallo, Christoph.«
»Moin«, antwortete der Erste Hauptkommissar Christoph Johannes und nahm Lüders Bitte entgegen, die in Frage kommenden Baumärkte aufzusuchen und zu erkunden, ob sich jemand an einen Käufer des Seils erinnern konnte.
»Wir haben auch etwas«, erwiderte Christoph. »Harm Mommsen hat möglicherweise herausgefunden, wer den Sprunggurt im Internet bestellt hat. Das Angebot an Lieferanten für diese Spezialanfertigungen ist überschaubar. Und um diese Jahreszeit werden nur wenige Ersatzteile bestellt. Das Geschäft läuft im Frühjahr wieder an. So konnte der Lieferant uns eine Adresse nennen.«
»Was?« Das war eine sensationelle Nachricht, ein erster großer Durchbruch bei den Ermittlungen.
»Es wäre zu einfach, wenn man uns Name und Anschrift des Täters liefern würde«, dämpfte Christoph Lüders Euphorie. »Es handelt sich um eine Kirchengemeinde.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch. Sollen wir der Sache nachgehen? Oder kümmert ihr euch darum?«
Lüder ließ sich die Anschrift geben. »Ich wiederhole«, sagte er, nachdem er mitgeschrieben hatte. »Eine freie christliche Glaubensgemeinschaft in Schleswig, Lattenkamp.«
»Vorsicht«, sagte Christoph. »Das ist ein Gewerbegebiet. Da gibt es nach unseren Informationen zwei Gemeinden. Die eine ist eine evangelische Freikirche. Die ist es nicht, damit ihr es nicht verwechselt.«
Wenig später saßen die beiden Polizisten wieder im Auto und fuhren an die Schlei. Aus dem Nieselregen war ein kräftiger Dauerregen geworden. Auf bunten Kalenderblättern zeigte sich der Dezember oft mit strahlend blauem Himmel und schneebedeckten Bergen. Dazu passten die grauen Wolken, die aufspritzende Gischt und der gegen die Scheiben klatschende Regen überhaupt nicht. Surrend zogen die Scheibenwischer ihre Bahn und hinterließen Schlieren auf der Scheibe.
»So ’n Schietwetter haben wir in Husum nicht«, stellte Große Jäger unterwegs fest.
»Ich glaube, das ganze Land offenbart sich heute unter dieser Regenwolkendecke«, erwiderte Lüder. »Ein solches Wetter muss Theodor Storm zu seiner Aussage von der grauen Stadt am Meer inspiriert haben.«
»Der Tetje Wind war farbenblind«, antwortete der Oberkommissar mit Überzeugung. »Husum ist die bunte Stadt am Meer.«
Sie brauchten länger für die Fahrt, als Lüder gehofft hatte. Auch Schleswig schien unter dem Einheitswetter zu leiden, das den ganzen Norden beherrschte.
Die Glaubensgemeinschaft lag am nördlichen Stadtrand Schleswigs in einem Areal, in dem
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