Schwelbrand
weiteren Blicks zu würdigen, verließ er dessen Büro. Lüder war sich bewusst, dass es ein riskantes Spiel war, das er trieb. Aber er war es seiner Selbstachtung schuldig, dem selbstgefälligen Vorgesetzten so zu begegnen. Der Kriminaldirektor war eine, wenn nicht die menschliche Niete schlechthin, in der Landespolizei.
»Scheiß-Starke«, murmelte Lüder halblaut vor sich hin, als er über den Flur in sein eigenes Büro zurückkehrte. Dort zog er sein Handy hervor und wählte eine Telefonnummer. Kurz darauf meldete sich die sonore Stimme des Regierungschefs mit einem knappen »Hallo«.
»Lüders. Es gibt ein Problem in den Ermittlungen.« Er wartete einen Moment, aber sein Gesprächspartner antwortete nicht. Lüder schilderte kurz die Begebenheit in Glücksburg und das Einmischen des Ministers in die Ermittlungen.
»Ich kümmere mich darum«, sagte der Ministerpräsident knapp. »Ich bin gerade in einer Besprechung. Sie hören von mir.« Dann legte er auf.
»Sie überlassen nichts dem Zufall«, sagte Große Jäger, der dem Gespräch gelauscht hatte, anerkennend und rieb sich die Hände. »Wie so oft bei Ihnen … Es trifft den Richtigen.« Dann wurde der Oberkommissar ernst. »Ich habe mit Mommsen gesprochen. Die Husumer hatten die gleiche Idee wie wir und haben in unserer Kundenkartei –«
»Kunden datei «, fiel ihm Lüder ins Wort. »Mit ›d‹ und nicht mit ›k‹.«
»Von mir aus. Also! Das Kind – Mommsen«, fügte er erklärend ein, »hat ein paar Leute herausgefiltert, die vom Täterprofil her passen könnten.« Große Jäger seufzte. »Im Fernsehen gibt es für solche Aufgaben die sogenannten Profiler. Und wir hier? Wir müssen alles allein machen.«
»Armer Wilderich. Möchtest du jetzt auf den Arm?«, fragte Lüder mit spöttischem Unterton.
»Sie nehmen mich ja ständig auf den Arm.«
Lüder klopfte gespielt energisch auf die Tischplatte. »Also, was ist nun? Kein Wunder, wenn die Ermittlungen nicht vorankommen, weil du keinen klaren Gedanken fassen kannst und zigmal versuchst, einen Satz zu beginnen.«
Große Jäger strich sich versonnen über die Schultern und deutete anschließend mit Daumen und Zeigefinger einen Ring an, der einem Autofahrer beim Zeigen eine Strafe wegen Beleidigung eingebracht hätte.
»Das liebe ich. Die Polizisten mit den goldenen Sternen auf der Schulterklappe«, spielte er auf die Dienstbezeichnungen des höheren Dienstes an, die mit dem Polizei- oder Kriminalrat begannen, »lassen uns arbeitende Beamten nicht zu Wort kommen, und dann …« Er vollendete den Satz nicht, sondern verzog den Mund zu einem Grinsen und zeigte seine nikotingelben Zähne. Der Oberkommissar nahm einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an. Erst als Lüder in ein lautes Lachen verfiel, atmete Große Jäger wieder aus und fuhr fort: »Mommsen hat in der Kundenkartei geblättert und ein paar Kandidaten ausfindig gemacht, die aufgrund des Täterprofils in Frage kommen könnten. Ich habe die Namen mit unserer Ausbeute von Sonntag verglichen. Da gab es Übereinstimmungen in sieben Fällen. Einer ist mir dabei ins Auge gesprungen.«
»Hat das sehr wehgetan?«
Große Jäger sah Lüder irritiert an.
»Ich meine, so ein ganzer Gangster, wenn der dir ins Auge springt. Das muss doch höllische Schmerzen bereiten.«
Der Oberkommissar verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. Nachdem beide einen Schluck kalten Kaffee aus ihren Bechern genommen hatten, bequemte sich Große Jäger schließlich doch zur Fortsetzung.
»Einer ist darunter, der heißt Heinrich Frosinn.«
»Das ist jetzt die Retourkutsche für meine Zwischenrufe«, sagte Lüder.
Große Jäger schüttelte den Kopf. »Nee. Der heißt wirklich so. Allerdings ohne ›h‹. Der hat schon in Neumünster eingesessen, in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal und –«
»Wieso Bruchsal?«, unterbrach Lüder. »Das ist doch Baden-Württemberg.«
»Woher soll ich das wissen? Vermutlich war das so eine Art Kulturaustausch zwischen den Bundesländern.«
»Weshalb?«, fragte Lüder.
»Der Austausch?« Große Jäger grinste. »Der Bursche hat schon als Jugendlicher gemeint, das Recht des Stärkeren setzt sich durch. Körperverletzung. Später kam schwerer Raub dazu und noch einmal schwere Körperverletzung.«
»Also eine dicke Berta.«
»Hä?«
»Ein schweres Kaliber«, sagte Lüder. »Zeichnet diesen Frosinn etwas Besonderes aus?«
»Ja. Seine Herkunft. Heinrich Frosinn ist zweiundvierzig und in Husum geboren.«
»Das ist noch kein
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