Schwerter der Liebe
Vermächtnis, das sich seit Generationen im Familienbesitz befindet, dem Falschen in die Hände fallen wird.«
»Es geht um Geld«, stellte er mit tonloser Stimme fest, da er sich schon etwas Besseres erhofft hatte als nur das.
»Keineswegs«, widersprach Juliette und sah ihn aufgebracht an. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen — es geht um eine alte Truhe, ein Familienerbstück. Meine Mutter erhielt sie, als sie heiratete, und meine Großmutter bekam sie zuvor an ihrem Hochzeitstag überreicht. Und genauso meine Urgroßmutter vor ihr. Die Geschichte reicht zurück zu einer Vorfahrin, die als eine der Schatzkästchen-Frauen nach New Orleans kam.«
»Schatzkästchen-Frauen?«
»Eine von vierzig oder fünfzig jungen Frauen, die vor rund zweihundertfünfzig Jahren von der französischen Krone als Bräute für die Kolonisten hergeschickt wurden. Die Wenigsten von ihnen ließen in Frankreich irgendwelche Verwandten zurück, und alles, was sie besaßen, war diese Truhe oder ein Schatzkästchen mit der Mitgift, die man ihnen bewilligt hatte.«
»Dann ist diese Truhe also ein solches altes Schatzkästchen?«
»Nicht so ganz. Meine Vorfahrin, Marie Therese, besaß eine eigene Truhe aus einem exotischen Holz mit Einlegearbeiten aus Elfenbein. Da sie sich von ihr nicht trennen wollte, packte man Bettwäsche und Kleidung und anderes in eben diese Truhe.«
»Bettwäsche und Kleidung.«
»Ja, aber diese Dinge existieren längst nicht mehr und sind auch nicht von Bedeutung. Was zählt, ist die Tatsache, dass meine Mutter krank vor Sorge ist. Eine alte Familienlegende besagt, es werde zu einer Katastrophe kommen, wenn die Truhe in die falschen Hände gerät.«
»Und das glaubt sie?«
»Allerdings. Es liegt daran, dass ein Kindermädchen sie großzog, von dem sie Hunderte von Sprichwörtern und Dinge über Aberglauben und Voodoo-Zauber lernte. Sie können sich nicht vorstellen, an was sie alles glaubt ... auch wenn ich mit Ihnen nicht so von ihr reden sollte. Mein Leben lang dachte ich, mit der Truhe hätte ich nichts zu tun. Ich glaubte, in unserer Generation wäre Paulette die Braut, die die Truhe bekommen würde, weil sie angeblich einige Minuten vor mir geboren wurde. Aber nun schwört unser Kindermädchen, dass wir in der Wiege vertauscht wurden und ich eigentlich die Ältere von uns beiden bin.«
»Und das ist wichtig? «
»Die älteste Tochter in jeder Familie hütet die Truhe. Sie wird ihr am Tag ihrer Heirat übergeben, und sie selbst gibt sie nur weiter, wenn ihre eigene älteste Tochter heiratet.«
»Dann treten Sie wegen einer Truhe, die keinerlei Wert besitzt, vor den Altar?«
»Ich sagte nicht, dass sie keinen Wert besitzt«, protestierte Juliette. »Manche bezeichnen sie auch als Schatztruhe.«
»Um welche Art von Schatz handelt es sich dabei?«
»Das weiß niemand außer der Braut, die die Truhe bekommt. Sie darf sie öffnen und eine Sache hineinlegen, die für sie von Wert ist. Aber sie darf niemals etwas herausholen und niemandem vom Inhalt erzählen, nicht einmal ihrem
Ehemann.« Plötzlich legte sie die Hand vor den Mund. »O nein, das hätte ich nicht verraten dürfen! Nun werden Sie so wie Monsieur Daspit zum Altar eilen wollen, um das Vermächtnis mit mir zu teilen.«
Nicholas hob den Kopf. »Was habe ich Ihnen getan«, fragte er mit äußerst sanfter Stimme, »dass Sie eine solche Meinung von mir haben?«
Daraufhin sah sie ihn lange an. Ihre Augen waren atemberaubend, die Pupillen waren so sehr geweitet, dass die Iris aussah wie grüner Samt, der mit goldener Spitze besetzt war. Es kam ihm vor, als würde sie bis in seine Seele schauen und in Regionen seines Wesens Vordringen, in die noch nie zuvor jemand vorgestoßen war. Mit angehaltenem Atem und wild schlagendem Herzen stand er da und wartete, ob sie irgendwas Düsteres fand, das dort verborgen lag und für sie der Grund sein würde, ihn ein für allemal abzuweisen.
»Nichts«, flüsterte sie. »Sie haben nichts getan. Verzeihen Sie, wenn es so schien, als hätte ich das unterstellt.«
Ein ungewohntes Gefühl überkam Nicholas, das ihn sehr an Ehrfurcht erinnerte. Das war nicht seine übliche Reaktion auf eine Frau. Er mochte Frauen, mochte ihre Gesellschaft, die Art, wie ihr Verstand arbeitete, wie sie lächelten und wie sie redeten. Er bewunderte sie zutiefst für die kleinen und großen Opfer, die sie für andere brachten, vor allem für ihre Kinder. In der Gegenwart von Frauen fühlte er sich auf eine Weise wohl, wie es nur sehr
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