Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
Vom Netzwerk:
grünem Bezug, auf dem zusammengesunken eine Frau saß und von einem Teller auf dem hohen Wagen, der als Nachttisch diente, aß. Eigentlich aß sie nicht, sondern hielt nur den Löffel in der Hand.
    »Möchten Sie Bücher ausleihen?«, fragte ich.
    Sie hob den Blick. Jämmerlich wie der Mond, hohlwangig und graufleckig. Zuletzt hatte ich sie auf der Hochzeit einer Klassenkameradin in Kramfors gesehen. Damals trug sie ein Kleid mit einem Rock aus zwei oder drei Lagen blassblauer Seidenblasen und einer silbergrauen Tüllrose in einer Falte. Sie sah wieder auf ihren Teller, namenlos im karierten Baumwollmorgenrock des Krankenhauses.
    »Erkennst du mich nicht mehr?«, fragte ich.
    Tags darauf kam ich zur Besuchszeit. Da war ihre Tür zu, doch ich klopfte an. Von drinnen war kein Laut zu hören. Ich öffnete und glaubte zuerst, es sei niemand im Zimmer, aber dann sah ich, dass Lillemor Troj hinter dem Sessel am Fenster kauerte. Man durfte ihr Gesicht nicht sehen, so majestätisch war ihre Trauer. Sie war die Mondkönigin persönlich. Wahnsinnig und streng. So schlimm war es freilich nicht. Aber das war ihr nicht klar.
    Einleitung, Höhepunkt und Schluss, das waren Lillemors Spezialitäten. Hier war sie jedoch in der Zeitlosigkeit gelandet. Sie hatte einen trockenen Mund und zittrige Beine. Man verabreichte ihr scharfe Sachen, um sie auf andere Gedanken zu bringen: Insulin, Barbitursäure. Ich war überzeugt, dass man seine wahre Freude daran hatte, wie mexikanische Köche: je schärfer, desto besser.
    Lillemor hatte das nicht so verstanden. Sie glaubte: je wahnsinniger, desto schärfer. Mit Einleitung, Höhepunkt und Schluss erzählte sie, dass der Professor Maklow hieß und seine Opium-Mixtur Mackipillen genannt wurden. Das waren blaugraue, in Hexenmehl gewälzte Kügelchen. Die hatte sie nach ihrem ersten Besuch in seiner Praxis bekommen und sich in einer Walpurgisnacht alle auf einmal einverleibt. Es war ihr nicht sonderlich gut gegangen nach dem Magenauspumpen, und sie glaubte, sie sei geisteskrank und alles sei zu Ende.
    Sie war nicht geisteskrank, das musste sie schon bald einräumen. Sie war nur an einem Ort gelandet, wo man, mütterlich sanft, von ihr verlangte, mit einem Uhrmachergehilfen, der einen Laden in der Drottninggatan hatte (es war eine gemischte Station), einem Fleischer aus Boländerna, der die Pflegerinnen Bräute nannte, und einer Frau, die sich die Haare ausgerissen hatte, zusammen zu essen. Außerdem sollte sie mit dieser fast kahlköpfigen Frau aus Enköping Kaffeetassen abwaschen und dann mit einer Pflegerin Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, die mit ihren Gedanken auf Reisen war, weil sie den Flur noch wischen musste, bevor sie nach Hause ging. Die Fliege machte, wie es hieß.
    Eine härtere Truppe saß in der Eingangshalle und rauchte. Ihre Tabletten spuckten sie aus. Sobald die Schwester die Tür zugemacht hatte, prasselte es im Papierkorb. Eine Telefonistin, die bei Domus arbeitete, bleichte sich mit Wasserstoffsuperoxid die Haare, dass es im Waschbecken der Toilette zischte. Um zu fliehen, lieh sie sich von ihrem Bruder, einem Rocker, das Motorrad und fuhr damit in eine Hecke. Ein Junge, der neben ihr saß, als sie dies erzählte, sagte, er überfahre gern Tiere, wenn er mit einem Fahrzeug unterwegs sei. Lillemor, die ein paarmal dabeigesessen hatte, hörte auf zu rauchen und verkroch sich wieder hinter dem Sessel in ihrem Zimmer.
    Diesmal kroch sie hervor, als ich kam, setzte sich ans Fenster und starrte wortlos hinaus.
    Die Espen am Hang unterhalb des Sten-Sture-Monuments sind schon ganz schwefelgelb, schrieb ich später in meine Kartei und strich das Wort »ganz«. Doch hält sich noch ein blasses Grün, und kleine Tupfen Rost und Braun schleichen sich ein. Sterbendes Laub ist wie Haar. Die Espe verliert es aus Kummer, erinnert sich nicht, dass es vorübergeht, ja verzweifelt gegen Moos und Erde. Daneben die Wacholderbüsche, sie müssen nicht durchhalten, sie gedeihen einfach. Ich kam früh ins Wacholderalter.
    Ach, ach, ach, was sind diese Herbstnebel weich im Herzensgrund. Hatte mir den Herbst von Gunnar Ekelöf angeeignet, das war wohl 1951. Wenn man doch etwas abgeben könnte von der Barmherzigkeit der Jahreszeiten, nein, von des Spätsommers Barmherzigkeit gegen den Herbst! Sich nicht zu Tode hetzen lassen.
    Da fiel mir wieder ein, dass auf Lillemors Gepäckträger Ekelöfs Im Herbst festgeschnallt war, als wir uns endlich im Engelska Parken getroffen hatten. Ich zog die Rolle mit

Weitere Kostenlose Bücher