Schwur der Sünderin
werde ich mich bei Gleichgesinnten erkundigen, ob sie von Joß gehört haben. Sobald ich etwas weiß, werde ich euch einen Boten schicken.«
Alle Augen blickten auf Annabelle, die an ihrer Unterlippe nagte. Jeder konnte spüren, dass ihr unwohl zumute war, da sie sich entscheiden musste. Anna Maria versuchte, ihrer Schwägerin zu helfen: »Meinst du nicht, Annabelle, dass diese Reise zu beschwerlich für dich und das Kind werden könnte? Das Wetter schlägt ständig um, und Eis und Schnee werden eure Reise behindern, sodass ihr mit dem Fuhrwerk länger als sonst benötigen werdet.«
Annabelle sah Anna Maria dankbar an, als Peter ihre Hand
ergriff und sanft drückte. Kurz blickte sie in die Augen ihres Mannes, um dann ihrem Vater leise mitzuteilen: »Vater, es tut mir leid, aber ich werde hierbleiben und warten, bis das Kind geboren ist.«
Anna Maria glaubte ein kurzes Lächeln in Gabriels Gesicht zu erkennen.
»Das ist eine weise Entscheidung, mein Kind!«, antwortete er und zwinkerte Anna Maria verschwörerisch zu.
Anna Maria blickte zufrieden in die Runde. Jetzt, da wichtige Entscheidungen getroffen waren, keimte Hoffnung in ihr auf, dass sich alles zum Guten wenden würde.
Kapitel 24
In der Nähe der Stadt Heilbronn, Sommer 1525
Langsam legte sich die Dunkelheit über das Land, und die Männer zündeten Lagerfeuer an. Dicht gedrängt standen sie um die brennenden Holzscheite und ließen die Bierkrüge kreisen. Es war, als ob sie sich gegenseitig stützen wollten, doch in ihren Augen war Zweifel zu erkennen. Manch einer glaubte die Erregung, aber auch die Angst des anderen spüren zu können. Die Blicke der Männer schweiften ruhelos umher.
Um sich Mut zuzusprechen und sich von der Richtigkeit ihres Vorhabens zu bestärken, erzählten sich die Männer von ihrer Not und davon, wie Adel und Klerus sie ausbeuteten.
Ein Bauer klagte von dem ständigen Hunger, den seine Familie leiden musste, obwohl er Tag und Nacht schuftete und sich weder Rast noch Ruhe gönnte.
Ein anderer Mann, der wegen seines feuerroten Haars aus der Menge hervorstach, schimpfte: »Die hohen Herren lassen ihre Jagdhunde durch die Saat laufen, ohne den Schaden zu beachten,
den sie dabei anrichten. Wir jedoch werden bestraft, weil die Ernte kärglich ausfällt.«
»Es gibt Gräueltaten, von denen habt ihr keine Ahnung«, erklärte leise ein dritter Mann, dessen Gesicht eine breite Narbe teilte. »Nachdem eine Schar Ritter ein ganzes Dorf niedergebrannt hatten, sind dreißig Bauern in die Kirche geflüchtet und haben sich dort verschanzt. Als die Ritter das sahen, legten sie Feuer um das Gotteshaus, damit die Menschen drinnen ersticken sollten. Ein Bauer aber ist mit seinem Kind auf dem Arm in den Kirchturm geflüchtet. Er wähnte sich schon in Sicherheit, als die Flammen zu ihnen hochschlugen. Da der Mann keinen Ausweg wusste, ist er mit seinem Kind in die Tiefe gesprungen. Die Ritter«, flüsterte der Mann, »haben ihm die Speere entgegengestreckt und ihn im Sturz aufgespießt.«
Zornig und laut verurteilten die Männer diese Gräueltat, als jemand fragte: »Und das Kind?«
Der Erzähler zuckte mit den Schultern. »Dem soll nichts passiert sein.«
Als plötzlich ein Ruf erschallte, wussten die Männer, dass der Augenblick gekommen war, und sie schauten einander unsicher an. Manch einer rieb sich die feuchten Hände an seinem Beinkleid trocken, während ein anderer schnell noch einen Schluck Bier nahm.
»Vergesst die Waffen nicht«, brüllte Kilian den Männern zu.
»Hoffentlich schmerzt es nicht«, murmelte ein Bursche seinem Kameraden zu, der daraufhin entsetzt zu dem Platz hinüberblickte.
Ein älterer Bauer, der das gehört hatte, meinte mit ernstem Gesicht: »Wir werden danach nicht mehr dieselben sein.«
Joß Fritz stand an einen Baum gelehnt und betrachtete kritisch die Männer, die sich langsam vor ihm versammelten. Er wusste, dass sich unter den achtbaren Bauern auch viele Unholde tummelten,
die erst in den letzten Tagen zu seiner Truppe gestoßen waren. Es waren Gestalten, die außer ihrem Leben nichts zu verlieren hatten – rohe und brutale Männer, die nicht für Recht und Freiheit kämpften. Sie wollten nur ihre Begierde stillen, wollten Schlösser und Klöster plündern und brutale Macht über andere Menschen ausüben. Joß Fritz kannte solche Gestalten, die es zu jeder Zeit und an jedem Ort gab. Auch bei seinen ersten Bundschuh-Aufständen hatten sie sich unter die Aufrechten gemischt, weshalb sie ihn
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