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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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keine Möglichkeit, wie ich das wirklich wieder gutmachen könnte. Aber ich werde bei Euch bleiben, was immer auch geschieht.«
    Rhulads schreckliche, blutrot unterlaufene Augen wandten ihren verletzten Blick von Udinaas ab. »Verstehst du, Udinaas?«, fragte er flüsternd. »Ich bin so …«
    Verängstigt. »Ja, Höherer, ich verstehe.«
    Der Imperator legte sich eine Hand über die Augen. »Sie ertränkt sich in weißem Nektar.«
    »Ja, Höherer.«
    »Ich würde sie freigeben, aber … ich kann es nicht. Weißt du warum, Udinaas?«
    »Sie trägt Euer Kind unter dem Herzen.«
    »Dein Blut muss vergiftet sein, Udinaas – sonst wüsstest du nicht soviel …«
    »Höherer, es wäre vielleicht keine schlechte Idee, darüber nachzudenken, nach Uruth zu schicken. Nach Eurer Mutter. Mayen … braucht jemanden.«
    Rhulad, der das Gesicht noch immer mit der entstellten Hand bedeckte, nickte. »Wir werden uns bald mit Forchts Armee vereinigen. In fünf, sechs Tagen. Uruth wird sich ihnen anschließen. Dann … ja, ich werde mit Mutter sprechen. Mein Kind …«
    Mein Kind. Nein, es ist unmöglich. Ein Findelkind der Meckros. Es ist sinnlos, über ihn nachzudenken. Vollkommen sinnlos.
    Ich bin kein schlechter Mensch …, und doch habe ich gerade geschworen, an seiner Seite zu stehen. Hol mich der Abtrünnige, was habe ich getan?
     
    Im Tal unter ihnen brannte ein Bauernhof, doch sie konnte niemanden sehen, der die Flammen bekämpfte. Alle waren geflohen. Seren Pedac machte sich wieder daran, ihre Haare abzuschneiden, wobei sie sie so kurz schnitt, wie es mit dem Hafenarbeitermesser möglich war, das ihr einer von Eisenharts Soldaten gegeben hatte.
    Der Bekenner stand ganz in der Nähe, mit Corlo, dem Truppmagier, an seiner Seite. Sie betrachteten das ferne Feuer und unterhielten sich leise.
    Sie waren irgendwo südöstlich von Dresh, einen halben Tagesmarsch von der Küste entfernt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Tiste Edur schon irgendwo in der Nähe waren, doch die Straßen waren voller Flüchtlinge gewesen, die alle nach Osten  – nach Letheras – wollten. Sie hatte mehr als nur ein paar Deserteure unter den Flüchtlingen gesehen, und da und dort lag eine Leiche im Straßengraben, Opfer von Raubüberfällen oder Frauen, die vergewaltigt und ermordet worden waren.
    Vergewaltigung schien bei den Schlägern, die auf die fliehenden Stadtbewohner Jagd machten, zu einem beliebten Zeitvertreib geworden zu sein. Seren wusste, dass sie vermutlich schon tot wäre, wenn sie allein gereist wäre. In mancherlei Hinsicht wäre dies eine Erleichterung gewesen. Ein Ende dieses besudelten Elends, dieses qualvollen Gefühls, unsauber zu sein. In Gedanken sah sie wieder und wieder, wie Eisenhart jene Männer getötet hatte. Erinnerte sich an seinen Wunsch, angemessen Rache zu nehmen. Und an ihre krächzende Stimme, die ihn im Namen der Barmherzigkeit aufgehalten hatte.
    Der Abtrünnige wusste, dass sie das mittlerweile bedauerte. Es wäre besser gewesen, sie hätte ihn den Scheißkerl fertig machen lassen. Und noch besser wäre es, wenn sie ihn immer noch dabeihätten. Mit ausgedrückten Augen, abgeschnittener Nase und herausgerissener Zunge. Mit dem Messer in ihrer Hand könnte sie ihm die Haut streifenweise abziehen. Sie hatte einst eine Geschichte gehört, von einem Verwalter in einem abgelegenen kleinen Weiler, der aus Gewohnheit junge Mädchen vergewaltigt hatte, bis die Frauen ihm eines Nachts aufgelauert hatten. Sie hatten ihn geschlagen und gefesselt und ihm dann einen mit Eisendornen gefüllten Lendenschurz wie eine Windel angelegt – richtig fest – und ihn schließlich auf den Rücken seines Pferdes gebunden. Die stechenden Dornen hatten das Tier zur Raserei getrieben. Irgendwann auf einem Waldweg hatte das Pferd den Mann schließlich abgestreift, doch da war er schon verblutet gewesen. Es ging das Gerücht, dass auf seinem Gesicht im Tode alle Qual zu sehen gewesen war, die ein Mensch nur erleiden konnte, und was die Stelle zwischen seinen Beinen betraf …
    Sie säbelte die letzte, schmierige Strähne ab und warf sie ins Feuer. Der Gestank war grauenhaft, doch es gab Schopfhexer und klapprige Schamanen, die schlimme Dinge mit menschlichen Haaren anstellen konnten, falls sie ihnen zufällig in die Hände fielen. Es war eine traurige Tatsache, dass nur die wenigsten der Versuchung widerstehen konnten, eine Seele zu binden, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab.
    Corlo rief den Soldaten etwas zu, und plötzlich

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