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Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman

Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman

Titel: Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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schlanke Afroamerikanerin in den Sechzigern. Sie hatte hohe, markante Wangenknochen, einen ausdrucksvollen Mund und trug eine Brille mit Metallfassung, deren Gläser ihre blitzenden, vor Energie und Unternehmungslust sprühenden braunen Augen vergrößerten. Sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl und verstand sich auf die Kunst, jemanden von oben bis unten zu mustern, ohne dass die Betroffenen es merkten. Ein Blick, auf den jeder Secret-Service-Agent stolz sein könnte, dachte Michelle. Baldwins Hände waren lang und schmal und mit hervortretenden Adern durchzogen. Als die beiden Frauen einander begrüßten, registrierte die sportliche Michelle überrascht, welche Kraft im Händedruck der Älteren lag. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl neben Loretta und akzeptierte dankend das Glas Eistee, das ihr angeboten wurde.
    »Ist das ’n großer oder ’n kleiner Film, den Sie da drehen, meine Liebe?«
    »Es ist ein Dokumentarfilm, also nur ein kleiner.«
    »Also haben Sie wahrscheinlich keine heiße Rolle für mich, oder?«
    »Na ja, wenn Ihr Interview nicht rausgeschnitten wird, dann doch, dann sind Sie jedenfalls dabei. Wir kommen dann zurück und drehen die betreffende Stelle. Zurzeit bin ich noch am Recherchieren und bei den Vorgesprächen.«
    »Nein, Schätzchen, ich wollte wissen, ob das ein bezahltes Engagement ist.
    »O nein. Nein, davon kann gar keine Rede sein. Wir haben nur einen winzigen Etat.«
    »Schade. Es gibt nicht viele Jobs hier in der Gegend, wissen Sie.«
    »Das kann ich mir denken.«
    »Früher war das anders.«
    »Früher – als das Hotel noch in Betrieb war?«
    Baldwin nickte und schaukelte langsam im auffrischenden Wind. Es war kühl geworden, und Michelle wäre jetzt eine heiße Tasse Kaffee lieber gewesen als der Eistee.
    »Mit wem haben Sie denn bisher schon gesprochen?«, wollte Loretta wissen und lachte, als Michelle ihr die Namen nannte. »Die Mädels haben keine Ahnung, sag ich Ihnen, nicht die geringste Ahnung. Hat die kleine Miss Julie Ihnen erzählt, dass sie dabei war, als Martin Luther King erschossen wurde?«
    »Ja, das hat sie erwähnt. Ich muss sagen, eigentlich kam sie mir dafür ein bisschen zu jung vor.«
    »Na und ob! Die kennt Martin Luther King genauso wenig wie ich den Papst.«
    »Was können Sie mir denn über jenen Tag im Hotel berichten?«
    »Das war ein Tag wie jeder andere – außer natürlich, dass wir alle wussten, wer da kommen würde, Clyde Ritter nämlich. Ich kannte ihn ja schon aus dem Fernsehen und so, und außerdem lese ich jeden Tag meine Zeitung. Seine politische Einstellung entsprach ungefähr jener von George Wallace, bevor er sein Damaskus erlebte. Trotzdem war Ritter sehr erfolgreich mit seinem Wahlkampf – und das sagt so ungefähr alles aus, was man über dieses Land wissen muss.« Mit einem amüsierten Ausdruck in den Augen sah sie Michelle an und fragte: »Haben Sie ein so gutes Gedächtnis oder halten Sie das, was ich Ihnen erzähle, für so unwichtig, dass Sie ’s gar nicht aufschreiben wollen?«
    Erschrocken zog Michelle einen Schreibblock aus ihrer Tasche und begann sich Notizen zu machen. Außerdem stellte sie einen kleinen Kassettenrekorder vor Loretta auf den Tisch und fragte: »Haben Sie etwas dagegen?«
    »Iwo! Wenn mich einer vor Gericht zieht, hab ich kein Geld. Kein Besitz – das ist noch immer die beste Versicherung für einen armen Menschen.«
    »Was haben Sie an jenem Tag gemacht?«
    »Dasselbe wie an allen anderen Tagen. Die Zimmer geputzt.«
    »Für welches Stockwerk waren Sie zuständig?«
    »Für mehrere! Es meldete sich ja immer irgendwer krank. Meistens musste ich zwei Etagen ganz allein putzen. Damals auch, die erste und die zweite. Und als ich damit fertig war, sah es so aus, als müsste ich gleich wieder von vorne anfangen.«
    Michelle horchte auf. Kings Zimmer lag im zweiten Stock. »Demnach hielten Sie sich also nicht im Erdgeschoss auf, als die Schüsse fielen?«
    »Wieso? Hab ich das gesagt?«
    Michelle sah sie irritiert an. »Nicht direkt. Aber Sie sagten, dass Sie beim Putzen waren.«
    »Ist es gesetzlich verboten, mal runterzugehen und sich diesen Zirkus da unten anzugucken? Man will ja schließlich wissen, was los ist.«
    »Dann waren Sie also in dem Raum, in dem Ritter erschossen wurde?«
    »Nein, aber ich stand direkt vor der Tür draußen. In dem Flur da unten war ja ’ne Besenkammer für Putzmittel und so ’n Zeug, und ich musste mir dort was holen, verstehen Sie?« Michelle nickte. »Die Direktion wollte ja

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