Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
unbedingt töten wollte. Verzweiflung und Todesangst trieben ihr Tränen ins Gesicht.
Der heiße Atem war nun direkt in ihrem Ohr. »So, jetzt stirb mal schön!«, zischte die Stimme. »Verrecke sanft!«
Der höhnische Ton verlieh ihr neue Kräfte. Michelles Finger schlossen sich um ihre Pistole. Sie richtete den Lauf nach hinten, gegen die Lehne ihres Sitzes, und ihr Zeigefinger krümmte sich um den schmalen Metallbogen des Auslösers. Ihre Kraft war so gut wie erschöpft, aber ein letzter Rest an Willensstärke verblieb. Da sie wusste, dass sie eine zweite Chance nicht bekommen würde, konnte sie nur beten, dass die Richtung stimmte.
Der Schuss ging los. Die Kugel durchschlug den Sitz und bohrte sich in menschliches Fleisch. Das Nächste, was Michelle hörte, war ein kurzer Aufschrei, gefolgt von einem schmerzvollen Stöhnen. Unmittelbar danach lockerte sich der mörderische Riemen um ihren Hals und fiel schlaff von ihr ab. Endlich befreit, rang Michelle nach Luft, sog sie in tiefen Zügen ein. Ihr schwindelte, und ihr Magen revoltierte. Sie stieß die Wagentür auf und stürzte zu Boden.
Sie hörte, wie die Hecktür geöffnet wurde. Der Mann kletterte hinaus, eine Hand auf seine blutende Seite gepresst. Michelle rappelte sich auf und hob ihre Waffe, doch der Angreifer trat mit aller Kraft gegen den linken Türflügel. Michelle wurde getroffen und fiel wieder hin. Ihre Wut kannte nun keine Grenzen mehr. Wieder sprang sie auf und nahm den Angreifer ins Visier. Im selben Augenblick drehte der Kerl sich um und lief davon.
Michelle kam nicht sofort zum zweiten Schuss. Von Übelkeit überwältigt fiel sie auf die Knie, und als sie aufblickte, dröhnte ihr der Kopf, und ihre Sehkraft war getrübt. Statt einem sah sie drei Männer davonlaufen. Sie feuerte sechs Mal, jedes Mal mehr oder weniger auf den gleichen Schemen.
Alle sechs Schüsse gingen weit daneben. Sie hatte auf ein Trugbild gezielt, nicht auf den Mann aus Fleisch und Blut, der sein Möglichstes getan hatte, sie umzubringen.
Die Schritte entfernten sich rasch. Gleich darauf wurde ein Motor angelassen, und ein Auto raste, Kies und Erde aufwirbelnd, davon.
Michelle keuchte noch einmal auf, dann brach sie zusammen.
KAPITEL 37
Es dauerte lange, bis der Dauerton der Hupe endlich die Aufmerksamkeit einer vorbeifahrenden Polizeistreife erregte. Der Beamte fand Sean King und Michelle Maxwell bewusstlos vor und sorgte dafür, dass sie nach Charlottesville ins Krankenhaus gebracht wurden. King erholte sich als Erster. Zwar blutete seine Kopfwunde stark, doch hatte sich sein Schädel als so hart erwiesen, dass ihm weitere Schäden erspart geblieben waren. Michelles Genesung, so viel stand fest, würde etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Vor der Behandlung ihrer akuten Verletzungen bekam sie eine Narkose. Als sie daraus erwachte, saß King mit einem Verband um seinen Kopf neben ihr.
»Meine Güte, du siehst schrecklich aus«, sagte sie mit schwacher Stimme.
»Das ist alles, was ich zu hören kriege, nachdem ich stundenlang auf diesem verdammten Stuhl gehockt und darauf gewartet habe, dass die Prinzessin aufwacht? – ›Meine Güte, du siehst schrecklich aus‹?«
»Entschuldige. Es ist wirklich schön, dein Gesicht zu sehen. Ich bin so froh, dass du lebst – ich wusste nicht, wie schwer deine Verletzungen waren.«
Er betrachtete die Würgemale an ihrem geschwollenen Hals. »Wer immer das war – er hat dich ganz schön zugerichtet. Hast du jemanden erkennen können?«
»Nein. Ich weiß nur, dass es ein Mann war.« Dann fügte sie hinzu: »Ich hab ihn getroffen.«
»Du hast was?«
»Ich hab auf ihn geschossen, durch den Sitz durch.«
»Wo hast du ihn getroffen?«
»In die Seite, glaube ich.«
»Die Polizei wartet schon auf deine Aussage. Meine hat sie bereits. Das FBI und Deputy Marshal Parks sind auch hier. Ich habe ihnen auch schon von der Pistole unter dem Hortensienstrauch erzählt und von meiner These berichtet, dass Loretta Baldwin jemanden erpresst haben muss.«
»Ich fürchte, dass sie von mir nicht viel Neues erfahren werden.«
»Die Gangster müssen mindestens zu zweit gewesen sein: Einer, der mit seinem Verhalten dafür gesorgt hat, dass wir das Haus verließen, und ein anderer, der in deinem Wagen auf uns wartete. Sie haben einkalkuliert, dass ich die Pistole mitnehmen und ihnen dadurch die Sucherei ersparen würde. Irgendwer muss uns beschattet haben, als wir in Lorettas Garten waren. Kann sein, dass die Kerle uns sogar beim Ausgraben
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