SECHS
Fay ließ Jasper keine Ruhe. Mehr noch. Sie war über die letzen Wochen wie ein Tumor in seinem Hirn gewachsen. Und genau wie bei einem solchem im Anfangsstadium, tat es nicht weh, sondern war lediglich als leichter Druck zu spüren - doch das reichte.
Die Reaktionen der Frau waren alles andere als spontan gewesen, und auch wenn sich zwischenzeitlich viele andere Fälle auf seinem Tisch stapelten, wollte er sich heute Zeit nehmen, seinem Gefühl auf den Grund zu gehen. Schon alleine deswegen, weil sich die Sachlage zugunsten von Frau Fay verändert hatte. Schließlich war Brenner, wie er zwischenzeitlich in Erfahrung gebracht hatte, aus dem Koma erwacht.
Was lag da näher, als bei ihm anzufangen? Vielleicht konnte der ihm jetzt zum Unfallhergang endlich irgendeine Auskunft geben und er den Fall abschließen?
Zwanzig Minuten später saß er im Auto, und nach weiteren zwanzig kam er im Krankenhaus an. Weil die Anmeldung unbesetzt war, fragte er sich bis zu Brenners Zimmer durch. Als er schließlich davorstand, klopfte er zaghaft an.
Sehr zaghaft.
Denn Krankenhäuser mochte er nicht. Innerhalb ihrer trostlosen Korridore bewegte er sich wie zwischen Grabsteinen auf einem Friedhof. Still und leise. Denn beides, sowohl Krankenhaus als auch Friedhof, erinnerten ihn daran, wie zerbrechlich der Mensch doch ist. Und wer mochte sich schon freiwillig darauf stoßen lassen, wie es um die eigene Zerbrechlichkeit bestellt ist? Er nicht! Und so war er irgendwann dem Aberglauben verfallen, dass zu laute Geräusche auf ihn aufmerksam machen könnten und er entweder im Krankenhaus oder auf dem Friedhof landete.
Gedämpft hörte er ein „Herein“. Entgegen seiner Erwartung war es die Stimme einer Frau. Und die Frau, die ihn über ihre Schulter hinweg anblickte, als er im Raum stand, sorgte für eine Überraschung. Es war Juliane Fay. Sie versteifte sich sofort.
„Oh, Verzeihung. Komme ich ungelegen? Ich kann auch gerne draußen warten“, sagte Jasper. Juliane Fay stand auf und zog ihren Rock nach unten.
„Nein. Ich war nur ... ich wollte nur kurz nach Fran ... Herrn Brenner schauen.“
Sie nickte Frank flüchtig zu, schulterte ihre Handtasche und drückte sich im Türrahmen an Jasper vorbei, wobei sie es vermied, ihn anzusehen oder auch nur zufällig zu berühren.
Jasper schaute ihr noch eine Weile nachdenklich hinterher. Als sie um eine Ecke verschwunden war, drehte er sich zu Frank um.
„Darf ich?“
Frank nickte.
Jasper schloss die Tür, zog sich den Stuhl zurecht, nahm Platz und legte seine Mütze auf den Boden. Nach kurzer Pause eröffnete Jasper das Gespräch.
„Herr Brenner, wir kennen uns noch nicht persönlich. Mein Name ist Bent Jasper. Ich bearbeite Ihren Fall.“
Wieder nickte Frank nur.
„Gut, ähm. Sie fragen sich sicher, weshalb ich Sie besuche? Ich habe nur ein paar Fragen. Es dauert ganz bestimmt nicht lange. Ist das in Ordnung? Ich meine, wenn Ihre Verfassung das nicht zulässt, dann ...“
„Fragen Sie“, unterbrach Frank.
„Gut.“ Jasper schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück.
„Herr Brenner. Haben Sie noch irgendeine Erinnerung? Es gibt da ein paar Dinge, die ich noch nicht ganz verstehe und ich hoffe, Sie können mir etwas helfen.“
Frank drehte den Kopf in Richtung Decke. Jasper stutzte einen Moment irritiert, fuhr aber dann fort.
„Ich habe mir immer und immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, wie es zu diesen Bremsspuren gekommen sein könnte!“
Jetzt hatte er Franks Aufmerksamkeit zurückgewonnen - er schaute ihn wieder an.
„Was ist damit?“
Jasper räusperte sich.
„Es sieht so aus, als habe Frau Fay erst gebremst, dann wieder beschleunigt und dann erneut gebremst.“
„Und?“
„Nun, die Frage ist: Was hat Frau Fay zu der ersten Bremsung veranlasst?“
„Woher soll ich das wissen?“, kam es gereizt.
„Ich denke, da gab es nichts“, antwortete Jasper, lupfte dabei die Schultern und blickte unbeteiligt im Zimmer umher. Er wartete auf eine Reaktion von Frank. Doch die kam wieder nicht.
„Überlegen Sie mal, Herr Brenner. Wenn man eine Kollision kommen sieht, dann bremst man doch durchgehend und beschleunigt nicht wieder? Oder liege ich da falsch?“
Frank wandte sich wieder der Decke zu.
„Sie sind der Polizist.“
„Richtig. Und als solcher vermute ich, dass hier Vorsatz vorliegt.“
Frank wandte den Blick aus dem Fenster.
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Jasper lehnte sich nach vorne.
„Bitte? Haben Sie etwas gesagt?“
Frank reagierte
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