Seelenbrand (German Edition)
angeblich regelmäßig besuchten.«
Pierre schwieg und Marie merkte, daß sie ihn immer noch nicht überzeugt hatte, hier in Rennes zu bleiben. Nervös fuhr sie sich durch die Haare.
»Kurz und gut, nach all den vielen Jahren ... bin ich davon überzeugt, daß unser alter Abbé etwas gefunden hat, das von solch großer Bedeutung für die Kirche war, daß sich sogar regelmäßig hohe Würdenträger aus dem Vatikan hierher ans Ende der Welt bemühen mußten ... und das über Jahre.« Sie atmete tief durch und fuhr fort. »Und nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluß gekommen, genauer gesagt, in der Nacht, als sich der Totengräber umbringen wollte und wie ein Irrer geschrien hat ›Gott ist tot‹, da habe ich gewußt, daß genau das die Lösung des Rätsels ist!«
Marie schluckte und sammelte all ihren Mut, ehe sie weitersprach. »Ich glaube ... es gibt überhaupt keinen Gott!« Unsicher sah sie Pierre von unten in die Augen.
Der aber hatte einen undurchschaubaren Gesichtsausdruck aufgesetzt. »Reden Sie nur weiter«, sagte er leise und spürte in sich ein seltsames Gefühl der Erleichterung aufsteigen.
Eifriges Nicken von Marie. »Ich glaube, der alte Abbé hat ein Dokument ... oder etwas ähnliches gefunden, das beweist, daß es keinen Gott gibt. Jedenfalls muß dieses Etwas so gefährlich gewesen sein, daß man ihm dafür riesige Summen geboten hat.« Sie machte eine Pause. »Ich glaube sogar ... daß sie ihn deswegen umgebracht haben. Aber mir fehlt der letzte Beweis für meine Theorie!«
Marie blickte zu Boden und wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. »Sind Sie sehr schockiert von mir?« flüsterte sie nach einer Weile und blinzelte zu ihm hoch.
Schockiert? Ich könnte sie küssen! Sie weiß es! Diese, so unschuldig aussehende Person, weiß genausoviel Zerstörerisches wie ich! Eine riesige Last fiel von seinen Schultern. Sein bisheriges Leben lag zwar in Trümmern ... aber er fühlte sich phantastisch. Er wollte sie daher auch nicht länger leiden lassen.
»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt, Marie, anstattes so lange mit sich herumzutragen?« Er ergriff ihren Unterarm und sie lächelte erleichtert.
»Sie hätten mir doch kein Wort geglaubt, oder? Ich mußte so lange warten, bis Sie es selbst herausgefunden hatten, und heute war – glaube ich – der richtige Tag für meine Beichte.«
Sie wußte gar nicht, wie recht sie damit hatte. Es fiel ihm unsagbar schwer, seine Beherrschung zu behalten und sie nicht in einem Jubelsturm durchs Zimmer zu tragen. Der Zug morgen ... mußte ohne ihn fahren!
»Also gut«, verkündete er wichtig. »Sie haben mich überredet ... ich bleibe!«
Marie fiel ihm jubelnd um den Hals und umarmte ihn überschwenglich.
Oh, Mann! Das ist das Phantastischste, was ich je erlebt habe! » Aber nur unter einer Bedingung!«
Entsetzt ließ sie von ihm ab und erstarrte.
»Morgen mußt du unbedingt unsere Cognacvorräte wieder auffüllen, denn ich glaube, wir werden sie brauchen!«
Ihr schallendes Gelächter erhellte jeden Winkel des Pfarrhauses und erfüllte es mit neuem Leben.
»Bis zur Ruine der Blancheforts ist es noch ein ganzes Stück«, rief sie. »Wir müssen zuerst ins Tal hinunter und dann auf den felsigen Berg da hinten. Zwischen den Bäumen kannst du die Mauerreste schon sehen.«
»Warte, nicht so schnell!« Gutgelaunt klopfte er sich auf seinen Bauch. »Ich glaube, ich habe noch nie so viele Eier zum Frühstück gegessen, wie heute.« Sie blieben stehen. »Ich platze gleich!«
»Und ich habe noch nie so gerne in der Küche gearbeitet ... wie heute morgen!« Sie lachte ihn an.
Der Himmel war blau und wolkenlos, die warme Sommersonne zauberte einen Tag, wie er schöner nicht hätte sein können.
»Und du wolltest das alles hier einfach aufgeben und abreisen!« scherzte sie.
»Ich hab’ zwar nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen soll«, er sah sie an, »aber wenigstens trage ich nicht mehr allein die Verantwortung für das Geheimnis, das wir hier hüten.«
»Wenn wir die Taufe morgen wie besprochen ablaufen lassen, kann überhaupt nichts passieren. Und die Eltern«, sie hattenwährend des Frühstücks lange über diesen Punkt gesprochen, »werden es dir danken, wenn du sie mit unseren Erkenntnissen über eine mögliche Nichtexistenz Gottes verschonst.«
Sie waren nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, daß sie keinerlei Beweise für ihre wilden Theorien hatten, und daß es unverantwortlich wäre, mit dritten darüber
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