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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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die Treppe, die das Portal umgaben, viele von ihnen klein wie Benedict, aber auch einige dürre, große, die alle anderen um fast einen Meter überragten und auf zwei Beinen stapfende, an Amphibien erinnernde Geschöpfe an Leinen führten. Eins dieser Wesen kam Florence so nahe, dass sie zurückwich und eine Grimasse schnitt, als sie einen Geruch wie von Faulgasen wahrnahm. Die Kreatur drehte ihren breiten Froschkopf, starrte sie mit zwanzig Zentimeter durchmessenden Glupschaugen an und quakte kehlig, bevor es mit der aus mehreren bunten Kisten bestehenden Last auf seinem Rücken weiterwankte. Auf der einen Seite des breiten Hinterteils, direkt neben dem kleinen, schuppenbedeckten Schwanz, zeigte ein implantierter ovaler Bildschirm wirre Farbmuster, mit denen Florence nichts anzufangen wusste. Als sie den Blick länger darauf gerichtet hielt, spürte sie ein sonderbares Jucken hinter dem linken Auge. Sie erinnerte sich daran, dass Zacharias so etwas erwähnt hatte: eine syn ästhetische Reaktion auf die Nähe eines Reiseziels.
    Benedict gab ihr einen Stoß. »Sehen Sie nicht zu lange hin.« Er deutete kurz auf das davonstapfende Froschwesen. »Das ist ein Konzeptor, der Ihre Gefühle manipulieren und Sie dazu bringen kann, bestimmte Dinge zu kaufen oder bestimmte Gedanken zu denken. Die Innovatoren setzen in letzter Zeit immer mehr von diesen subliminalen Erweiterungen ein, um ihren Einfluss zu vergrößern.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich frage mich, warum das Symposium nichts dagegen unternimmt.« Er machte einer dicht gedrängten Gruppe von Menschen Platz, die ebenso klein waren wie er und alle himmelblaue Gewänder mit safrangelben Epauletten an den Schultern trugen, und breitete die Arme aus. »Ach, Lassonde! Nach einem Jahr! Wie sehr habe ich dieses Gedränge vermisst! Und den Geruch!« Er atmete tief durch und schnaufte genießerisch. »Was sagen Sie zu dem Geruch? Ist er nicht wundervoll?«
    Das Froschwesen mit dem subliminalen Konzeptor, von dem dürren großen Menschen geführt, der vielleicht zu den »Innovatoren« gehörte, wankte zum Portal und verschwand darin, aber der faulige Geruch in dem kuppelförmigen Raum ließ nicht nach. Florence rümpfte die Nase und versuchte, nur durch den Mund zu atmen.
    »Kommen Sie, kommen Sie, draußen ist die Luft noch viel besser«, sagte Benedict.
    Er bahnte für sie beide einen Weg durch die Menge, und kurz bevor sie den Ausgang erreichten, bemerkte Florence zwei weitere Geschöpfe, die über die Masse der Menschen hinausragten, obwohl sie nicht ganz so groß waren wie das Froschwesen. Silbrig glänzende Federn bedeckten ihre humanoiden Körper; in ihren Gesichtern waren Mund und Nase zu einem schnabelartigen Gebilde verwachsen, und auf der breiten, vorgewölbten Brust ragten vier Zitzen zwischen den Federn hervor. Darunter lagen vier menschliche Säuglinge in einem Tragebeutel, dessen Riemen über beide Schultern reichten, und nuckelten zufrieden. Mit einem leisen, dumpfen taubenartigen Gurren traten die Kreaturen an Florence vorbei, die ihnen erstaunt nachsah.
    »Was sind das für Geschöpfe?«, fragte sie Benedict.
    »Emporkömmlinge«, antwortete der mit einem kurzen abfälligen Schnauben. »Wie auch die Träger, die Sie eben gesehen haben. Und wie viele andere, die Sie noch sehen werden.«
    Oben auf dem Podium blitzte es in dem großen Portal, wenn Reisende kamen und gingen, ein kurzes Aufleuchten für jeden Transfer, und Florence glaubte, auch ein leises Klirren oder Läuten zu hören, das bei jedem Blitz ertönte. Aber vielleicht war das nur eine weitere synästhetische Reaktion, wie zuvor das Jucken hinter dem linken Auge beim Anblick der subliminalen Farbmuster des Konzeptors. Sie achtete nicht auf Benedicts zunehmende Ungeduld und beobachtete, wie Menschen und andere Geschöpfe, die Menschen mehr oder weniger ähnelten, aus dem Wogen traten, das sich wie die Oberfläche eines perlmuttfarbenen Sees im Innern des goldenen Bogens erstreckte. Sie dachte an all die Welten, die sich dahinter erstreckten, und dabei fielen ihr Worte ein, die Zach einmal an sie gerichtet hatte: Wir reisen durch die Köpfe von Menschen, wir wandeln in ihren Seelen und Träumen, und wir sehen dabei nicht nur Spiegel, die uns einen Blick in unser eigenes Innenleben gestatten. Wir sehen Welten, die ebenso groß und komplex sind wie die außerhalb der Köpfe. Zach hatte gezögert. Und weißt du was, Flo? Manchmal frage ich mich, in wessen Kopf wir stecken, wenn wir in der

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