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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Helen.
    Ihre Augen blieben hinter der Sonnenbrille verborgen, und das störte Thorpe; es hinderte ihn daran, einen Blickkontakt herzustellen. Er beugte sich vor und nahm ihr die Brille ab.
    »He …«, begann sie.
    »Sie haben hier Ihre Kindheit verbracht, nicht wahr?«, fragte Thorpe.
    Helen sah ihn groß an, und Thorpes Blick projizierte ihr Erinnerungsbilder in die Augen.
    Seien Sie zu individuellen Konditionierungen bereit, Thorpe; die Optionen werden Ihnen dabei helfen. Aber achten Sie darauf, dass die allgemeine Integration nicht darunter leidet. Eigentlich ist es ganz einfach. Sie haben bereits gelernt, worauf es dabei ankommt.
    Eigentlich ist es ganz einfach, dachte Thorpe und sagte: »Sie haben die Stadt ein Jahr vor dem Ausbruch des Vesuv verlassen, nicht wahr?«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte Helen erstaunt, ihre Gedanken voller Erinnerungen.
    Thorpe – dieser Thorpe – lächelte. »Ihr Vater hat einen gewissen Raymond gekannt, nicht wahr? Raymond Hilleroy?«
    »Ja«, sagte Helen langsam und staunte noch immer, während die anderen Touristen aus den Fenstern sahen, fasziniert von den Ruinen und Lavafeldern, an denen der Bus vorbeirollte. »Ich glaube, er war …«
    Thorpe lächelte noch immer. »Ein Arbeitskollege bei British-Italian-Airways. Ich bin sein Sohn Thorpe. Als Kinder haben wir einmal zusammen gebadet, in dem Meer dort.« Er deutete zum glitzernden Wasser.
    »Thorpe, der kleine Thorpe, den wir ›Bleichgesicht‹ nannten?« Helens Misstrauen schwand.
    Zwei Gigabyte, Thorpe. Mehr sind nicht möglich. Die Zeit ist zu knapp. Hardware können wir nicht benutzen; die Sensoren würden sie in Ihrem Kopf entdecken. Zwei Gigabyte Optionsdaten, neuronal codiert, über chemische und elektrische Stimulation abrufbar. Keine Sorge, der größte Teil davon wird über automatische Reflexe gesteuert. Aber manchmal müssen Sie vielleicht bewusst eingreifen. Seien Sie vorsichtig, übertreiben Sie es nicht. Zwei GB mögen Ihnen viel erscheinen, aber die Bilddaten beanspruchen einen großen Teil davon. Setzen Sie die Einzelheiten behutsam ein.
    »Als ich deinen Namen auf der Passagierliste sah, habe ich Erkundigungen eingezogen«, sagte Thorpe und gab Helen die Brille zurück. »Du bist es tatsächlich. Die dürre kleine Helen.«
    Er lächelte, und Helen erwiderte das Lächeln, wenn auch ein wenig zögerlich.
    Plötzlich stotterte der Motor des Busses und starb ab.
    »Gestatten Sie?« Nathan Fukuroku schob sich zwischen Thorpe und Rasmussen, und dem Direktor der Foundation blieb nichts anderes übrig, als zur Seite zu weichen und die Tür freizugeben. Ein Konzernpolizist hinderte ihn daran, wieder vorzutreten und erneut den Weg zu versperren.
    Thorpe, benommen und noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, trat in den Flur.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Rasmussen.
    »Nichts«, sagte Thorpe. »Nichts. Ich …« Er verzog das Gesicht; sollte der Direktor es für den Versuch eines Lächelns halten. »Ich habe es nicht geschafft. Helen …« Ja, das klang gut, fand er. Gut und plausibel. »Helen hat mich zurückgestoßen, als die anderen mit der Reise begannen.«
    »Helen …« Rasmussens Blick ging kurz zu der jungen Frau im Interface-Sessel neben Florence. Die Entfernung betrug fast zehn Meter, aber Thorpe sah deutlich, dass Helens Lider zuckten und ihre Hände zitterten. »Was haben Sie jetzt vor, Thorpe?« Rasmussen streckte die Hand aus und richtete den Zeigefinger auf ihn. »Von der medizinischen Abteilung halten Sie sich fern, klar? Sie rühren unser Tetranol nicht an, verstanden?«
    »Ich … ruhe mich ein wenig aus«, sagte Thorpe.
    An Fukurokus Seite wankte er durch den Flur, und als sie die Tür am Ende des Korridors erreichten, waren seine Schritte sicherer geworden. Fukuroku sah ihn fragend an, und Thorpe sagte: »Ja.«
    Die Sonne brannte heiß vom Himmel, und die meisten Touristen standen auf der schattigen Seite des Busses. Einige Wagemutige waren die Straßenböschung hinuntergeklettert und sahen sich die Ruinen aus der Nähe an. Unter anderen Umständen hätte Thorpe sie vielleicht zurückgerufen, aber seine Aufmerksamkeit war bereits dreigeteilt zwischen der allgemeinen Integration, Helen und der Panne.
    Einer Panne, die nicht vorgesehen war.
    Thorpe suchte in den Optionen, fand aber nichts, das einem solche Zwischenfall ähnelte.
    Der Fahrer Riccardo hatte die große Motorhaube am Heck geöffnet, sah sich den dampfenden Motor an und sagte: »Wahrscheinlich liegt’s an der Kühlung.

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