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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Rezeption vorbeigingen und sich den Aufzügen näherten.
    »Was soll ich wissen?« Sie schob den Zipfel der Plane zurück, und ihr schwarzes, lockiges Haar kam zum Vorschein.
    Sie verändert sich nie, dachte Zacharias. In welcher Welt wir uns auch befinden, wohin wir auch reisen, sie sieht überall so aus wie hier und jetzt. »Ich habe oft davon fantasiert«, sagte Zacharias. »Davon, nicht mehr im Rollstuhl sitzen zu müssen. Du hast keine Ahnung, wie das ist …«
    »Ich kann es mir vorstellen.«
    »Nein, das kannst du nicht. Das kann niemand, der nicht selbst in einem Rollstuhl gefangen ist. Mein Körper, mein echter Körper, ist gelähmt, und deshalb findet mein Leben vor allem im Kopf statt. Ich lebe und existiere in erster Linie in meinen Gedankenwelten. Vielleicht ist Stephen Hawking deshalb zu einem Genie der Physik geworden. Weil er Zeit hatte, über physikalische Phänomene nachzudenken. Weil er überhaupt nichts anderes hatte .«
    Sie erreichten die Aufzüge und blieben stehen.
    Zacharias klopfte auf seinen Körper, und dabei bemerkte er erneut den Verband an der rechten Hand. »Hier gibt es auch eine physische Welt für mich, und nicht nur eine. Ich kann sein, was ich will.«
    Florence sah ihn groß an. »Glaubst du etwa Salomos Versprechen?«
    Zacharias zuckte die Schultern und blickte noch immer auf seine rechte Hand.
    »Die Worte, die er an dich richtete, Zach … Sie spielten eigentlich gar keine Rolle. Er wollte dich ablenken, manipulieren und dominieren. Er wollte Macht über dich haben.«
    Zacharias hob die Hand. »Du hast sie mir verbunden, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Es war nur ein Kratzer, aber er ist noch nicht verheilt. Er hat sich sogar entzündet. Wie ist das möglich?«
    »Vielleicht hat Salomo deine Fähigkeiten teilweise blockiert«, spekulierte Florence und drückte den Knopf des ersten Lifts. »Oder es liegt an der Überdosis Tetranol. Das könnte auch der Grund dafür sein, warum du keine Übergänge in der Nähe spürst. Oh.« Sie schwankte, und im gleichen Moment glitten die beiden Türhälften vor ihnen auseinander.
    »Was ist?«
    Sie hob eine Hand zur Stirn und dann zum Interface-Äquivalent. »Mir war plötzlich schwindelig. Ich fürchte, meine Tetranol-Phase geht zu Ende.«
    Sie traten in die Aufzugkabine, und Zacharias griff nach Florences Hand, als wäre er imstande, sie allein auf diese Weise festzuhalten. Mit der anderen wählte er den fünfundzwanzigsten Stock, und die beiden Türhälften schoben sich wieder aufeinander zu. Als der Abstand zwischen ihnen nur noch eine Handbreit groß war, bemerkte er eine Bewegung vor dem breiten gläsernen Eingang des Turms – eine Gestalt kam dort die Treppe hoch, klein und in einen Regenmantel gehüllt.
    »Ich habe ihn gesehen!«, entfuhr es ihm, als sich die Kabine mit einem leisen Surren in Bewegung setzte. »Draußen vor dem Gebäude!«
    »Zach …«
    Er drehte sich um.
    Florence lehnte zitternd an der Wand, das Gesicht blass und in den Augen ein fiebriger Glanz. Zacharias schloss die Finger etwas fester um ihre heiß gewordene Hand.
    »Schick mich zurück, Zach«, sagte sie. »Bevor es zu einer unkontrollierten Rückkehr kommt. Oder zu Schlimmerem.«
    Konnte der Seelenfänger auch eine Therapeutin festhalten?, fragte sich Zacharias. »Ich weiß nicht einmal, ob ich dich ohne die Interface-Verbindungen zurückschicken kann.«
    »Versuch es«, ächzte Florence. »Ich darf nicht bewusstlos werden; das würde uns wertvolle Zeit kosten. Ich bitte Ras mussen, Helen und Duke zu schicken, oder einen der ande ren, und einen Übergang für dich zu schaffen.« Sie atmete schwer. »Ich nehme Tetranol und zeige ihnen den Weg. Schnell, Zach! Ich …«
    »Nein«, sagte er und erinnerte sich an Tenekers Warnung, an sein trotziges Aufbegehren in der baufälligen Hütte auf dem Hügel. »Schick keine anderen von uns. Genau das will Salomo. Denk daran, was Teneker gesagt hat! Er will die ganze Foundation übernehmen! Himmel, dies alles könnte Teil der Falle sein!«
    Plötzlich war seine Hand leer. Für eine halbe Sekunde schwebte Florences Gesicht vor der grauweißen Wand des Aufzugs, den Mund halb geöffnet, und dann verschwand es wie der Rest des Körpers.
    Der Aufzug hielt an. Vor Zacharias öffnete sich die Tür, und dahinter wartete ein dunkler Flur auf ihn.

Emergenz
    S ind Sie auf Schwierigkeiten gestoßen?«, fragte der Mann auf dem Bildschirm.Thorpe hatte aus dem Fenster gesehen, das ihm die Weiten des Pazifiks präsentierte. Im Osten zeigte

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