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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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mit beiden Händen danach – die rechte war verbunden – und trank gierig.
    »Wieso bin ich halb verdurstet?«, brachte er hervor. »Warum bin ich so schwach?«
    Florences Lippen bewegten sich, aber er hörte sie nicht, er hörte auch nicht mehr das Prasseln des Regens, denn er war so schwach, dass er einschlief.
    Als er erneut erwachte, fühlte er einen Teil seiner Kraft zurückgekehrt. Es war dunkel geworden, und der Regen pras selte nicht mehr ganz so heftig, fiel mit einem leichten, beständigen Klopfen aufs Wellblechdach. Das Licht einer Kerze erreichte die Pfütze am Eingang; sie war angeschwollen, schickte Ausläufer wie glitzernde Tentakel zu der dünnen Matratze, auf der Zacharias lag. Der Platz neben ihm war leer, die Decke halb zurückgeschlagen.
    Er stand auf, und seine Bewegungen schufen einen Luftzug, der die Flamme der Kerze flackern ließ. »Florence?«
    Nur das leise, gleichmäßige Klopfen auf dem Dach antwortete ihm.
    Die Feldflasche lag neben dem improvisierten Bett. Zacharias nahm sie, schraubte den Verschluss ab und trank Wasser, das einen leicht bitteren Geschmack hatte. Für ein oder zwei Sekunden fragte er sich, ob nur er Durst hatte – dieser Körper in dieser Welt – oder auch der andere Zacharias, der in einem Rollstuhl saß und allein mit den Augen sprach.
    Dann bemerkte er den Verband an der rechten Hand.
    Jemand, vermutlich Florence, hatte ihm einen Lappen um die Hand geschlungen und mit einem Stück Klebeband fixiert. Neugierig geworden und nicht ohne eine gewisse Verwunderung löste Zacharias das Klebeband und nahm den Verband ab. Zum Vorschein kam ein blutiger, eitriger Striemen auf dem Handrücken, und er betrachtete ihn wie etwas, das nicht existieren konnte.
    Er hatte geschlafen oder war bewusstlos gewesen, was während einer Reise selten genug geschah, aber er wusste aus Erfahrung, dass Verletzungen und Wunden während solcher Phasen heilten. Einmal hatte er sich bei einem dummen Sturz den Arm gebrochen, und es war ihm nicht gelungen, den plötzlichen Schmerz unter Kontrolle zu bringen. Er war bei jener Gelegenheit ohnmächtig geworden, und bei seinem Erwachen einige subjektive Stunden später hatte er den Arm wieder bewegen können.
    Ich werde dich finden, Zacharias. Denk an mich, sprich meinen Namen. Ich werde dich finden, hörst du?
    Zacharias sah sich erschrocken um und stellte fest, dass er noch immer allein war. Aber die Kerzenflamme flackerte, als hätte sich dicht neben ihr jemand bewegt, und für einen Moment fühlte sich Zacharias von Schatten bedrängt.
    Sein Blick kehrte zu dem langen Striemen auf der Hand zurück. Er erinnerte sich an das kurze Handgemenge mit Kronenberg, an den Kratzer, der von einem Fingernagel stammte und längst hätte verheilt sein müssen. Stattdessen war er entzündet. Zacharias konzentrierte sich und versuchte, der Wunde seinen Willen aufzuzwingen, sie zu schließen, Blut und Eiter verschwinden zu lassen, doch der rote Striemen blieb, und mit ihm ein dumpfer Schmerz, wie von einem langsam brennenden Feuer.
    Zacharias war so verblüfft, dass er ungläubig auf die Hand hinabstarrte und sie mehrmals drehte, als könnte er nicht glauben, dass sie wirklich zu dem Körper gehörte, in dem er steckte. Lag es am Mangel von Tetranol? Er spürte nicht mehr die pulsierende Euphorie, die sein Denken und Fühlen während der Begegnung mit den fremden Travellern bestimmt hatte, unter ihnen Kronenberg und Salomo, den man auch »Seelenfänger« nannte. Es bedeutete vermutlich, dass die Wirkung der Überdosis Tetranol, die ihm jemand in der Foundation verabreicht hatte, größtenteils verflogen war.
    Er warf einen letzten Blick auf die hartnäckige, widerspenstige Verletzung, wickelte den Lappen wieder um die Hand und drückte den Klebestreifen darauf. Dann wankte er, noch immer ein wenig benommen, zur offenen Tür des Unterstands, blieb dort in der Pfütze stehen und rief: »Florence?«
    Auch diesmal bekam er keine Antwort.
    Eine dunkle Ruinenstadt erstreckte sich vor ihm, unter einem schwarzen Himmel, aus dem ranziger Regen fiel. Er bemerkte jetzt den Geruch, der ihm zuvor nicht aufgefallen war, wie von verdorbener Butter. In diesem Regen stand er und sah sich um, und als sich seine Augen an die Dunkel heit gewöhnt hatten – er musste warten, konnte ihnen nicht wie sonst befehlen, die Dunkelheit zu durchdringen –, bemerkte er die Silhouette eines weit aufragenden Turms, einer Hand ähnelnd, die sich bittend dem Himmel entgegenstreckte.
    »Sea

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