Seelenglanz
die nächsten Jahrtausende. Ich wünschte nur, Jules wäre nicht hier, um das zu sehen.
Luzifer hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, sie hierherzubringen. Er stand neben ihr, eine Hand auf ihrer Schulter, als hielte er nicht ihre Seele, sondern lediglich ihre Freundschaft in Händen.
Das Entsetzen, das ich in ihren Augen fand, war schlimmer als das Wissen um das, was mich erwartete.
»Schaff sie weg!«
Luzifer lächelte. »Ich finde, sie hat ein Recht, zu erfahren, welches Opfer du für sie bringst.«
Als die Gefallenen mich zur Felswand zerrten, stemmte ich mich gegen ihren Griff. Ich versuchte nicht, mich zu befreien, aber ich wollte ihnen ihre Arbeit wenigstens so schwer wie möglich machen. Trotzdem verschaffte es mir keine Befriedigung zu sehen, wie viel Mühe sie hatten, mich unter Kontrolle zu halten. Alles, woran ich denken konnte, war das Entsetzen in Jules’ Augen.
Mein Widerstand fand ein abruptes Ende, als einer der beiden Blitzmerker auf den Gedanken kam, mich mit seiner Kraft zu fesseln. Er war nicht sonderlich stark, und wahrscheinlich hätte ich mich mit ein wenig Willenskraft aus seinem geistigen Griff befreien können, doch mir stand nicht länger der Sinn nach Spielchen. Sosehr es die beiden und Luzifer ärgern mochte, so sehr quälte ich Jules damit, wenn ich sie zwang, nicht nur anzusehen, was mit mir geschah, sondern auch noch meinen von vornherein aussichtslosen Kampf länger als nötig zu verfolgen. Regungslos stand ich vor der Wand und wartete darauf, dass sie mir die Eisenringe anlegten.
»Noch nicht!« Mit einer knappen Geste legte Luzifer eine Lähmung über Jules und trat vor. »Auf die Knie mit ihm!«
Einer der beiden packte mich im Genick und warf mich vor Luzifer auf den Boden. Der Stein war hart und kantig unter meinen Knien, doch ich wollte verflucht sein, wenn ich mir vor Jules auch nur das geringste Unbehagen anmerken lassen würde.
»Zeig mir deine Flügel«, verlangte der Morgenstern.
Ich sah auf. »Was?«
»Deine Flügel«, wiederholte er. »Ich will sie sehen.«
Auf keinen Fall!
Als ich seinem Befehl nicht nachkam, spürte ich, wie Luzifers Kraft in mich strömte und an mir zerrte. Langsamer als sonst, aber stetig und unaufhaltsam materialisierten sich meine Flügel. Wohl wissend, dass es das letzte Mal sein würde, versuchte ich mir einzuprägen, wie es sich anfühlte, meine Schwingen auszubreiten und den warmen Luftzug zu spüren, der über das Gefieder hinwegstrich.
»Grins nicht so dämlich!« Entgegen seiner sonst so gelassenen Art war Luzifers Stimme dieses Mal nicht frei von Gefühlen. War das Eifersucht? Eifersucht und Schmerz angesichts des Umstandes, dass ich meine Schwingen zumindest für kurze Zeit zurückgehabt hatte, während er seit Jahrtausenden die Leere spürte, die uns alle seit dem Verlust unserer Flügel begleitete?
»Du gehörst mir!« Mit einer ruckartigen Geste und ohne mich dabei zu berühren, riss er seinen Arm herum. Ein Ruck ging durch meine Flügel, die Lähmung hielt meinen Körper auf dem Boden, während der Zug an meinen Schwingen stärker und stärker wurde, bis der Schmerz in einem glühenden Feuerball zwischen meinen Schulterblättern explodierte.
Als Luzifer meine Flügel wie Abfall vor mir auf den Boden fallen ließ, stöhnte ich auf, erfüllt von Schmerz und Trauer. Irgendwo in weiter Ferne, in einem anderen Leben, weinte Jules. Ich wollte ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte, dass alles in Ordnung wäre, doch zum wohl ersten Mal in meinem Leben wollte mir eine Lüge nicht über die Lippen kommen.
Schweigend hielt ich den Kopf gesenkt, meinen Blick auf einen Punkt am Boden fixiert, und versuchte das warme Blut, das über meinen Rücken rann, ebenso zu ignorieren wie den tosenden Schmerz, den die Stümpfe in Wellen durch meinen Körper sandten.
»Jetzt ist dir das Lachen wohl vergangen.« Luzifer hatte seinen Gleichmut zurückerlangt. Er wischte meine Flügel mit einem beiläufigen Tritt zur Seite und kehrte zu Jules zurück.
Die Gefallenen rissen mich wieder auf die Beine und zerrten mich zur Wand. Mit einem verdammt endgültigen Klick schlossen sich die Eisenbänder um meine Handgelenke und brannten sich, aufgeheizt von der glühenden Lava, in mein Fleisch. Fest entschlossen, nicht zu schreien, biss ich die Zähne zusammen. Das Klirren der Ketten überlagerte Jules’ Schluchzen, als die Gefallenen daran zogen, bis sich die Ketten mehr und mehr spannten und mich immer weiter zurückzwangen. Näher
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