SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Wochen.
Jason war zu ihm gekommen, hatte auf ihn eingeredet und sich für etwas entschuldigt. Doch Roven wusste nicht mehr, wofür.
Auch die anderen waren bei ihm gewesen, hatten ihm Geschichten erzählt.
Alle, bis auf Ju. Er war nicht erschienen. Kein Wunder. Jeder fühlte sich unwohl in Rovens Nähe und er verstand es. Wenn er könnte, würde er sich selbst aus dem Weg gehen.
Einer Endlosschleife gleich wiederholte sich das Geschehene in seinem Kopf. Doch jedes Mal endete es mit seinem Versagen. Roven konnte es nicht verhindern und sah sie immer wieder sterben.
Schicksal.
Wie konnte jemand verantworten, dass einem das Heiligste im Leben genommen wurde?
Wie sollte ein Körper so viel Leid ertragen können?
Folter. Selbstzerstörung. Mehr konnte er aus dieser Erfahrung nicht mitnehmen.
Er hatte mit seiner Gefährtin nur wenige Tage verbracht.
Nun war er seit drei Wochen allein. Und der Schmerz schien endlos.
In seinen Gedanken hielt er sie fest – so fest, wie er konnte. Die Sehnsucht fraß ihn auf. Roven wollte sie berühren, sie in den Armen halten, sie lieben. Und er würde es nie wieder können. Er verlor jede Minute mehr von sich selbst.
Nichts in ihm wollte weiterleben.
Alles an ihr fehlte.
Jede noch so kleine Erinnerung versuchte er, in Stein zu meißeln. Doch sie wurden immer blasser, verloren den Klang und die Farbe und erschienen irreal.
Er hoffte, noch zu träumen. Doch der Alptraum endete nicht.
Selene war ihm weggerissen worden und hatte seine Seele mit sich genommen. Er fand keinen Zugang zu seiner Bestie. Selbst das Bild auf seinem Körper schien kleiner zu werden. Als ob sie mit jedem Tag schwächer wurde. Vielleicht bestand doch noch die Möglichkeit, dass er bald starb. Vielleicht dauerte es nur, bis ein Akkadier seiner Gefährtin folgte. Aber sicher.
Unsterblichkeit . Sein Fluch. Nie hatte er dieses Dasein mehr gehasst als heute.
Und plötzlich wurde alles ganz deutlich.
Ein Bild nahm Gestalt an.
Die Lösung lag auf der Hand.
Als er Roven die Treppe hinunterkommen sah, wusste Ju, dass es seinem Bruder nicht besser ging. In seinem Inneren war das Leid noch ebenso groß wie am Anfang.
Sein Gesicht wirkte grau und hart.
„Du musst dich nähren, Dalan “, sagte der Tibeter, auch wenn Roven nicht auf ihn hören würde.
„Ju, ich … ich muss Avenstone für eine Weile verlassen.“
Er hatte geahnt, dass dieser Zeitpunkt kommen würde.
„Jedes meiner Worte wäre zu schwach, als dass es dein Leid erleichtern könnte. Ich wünschte, ich könnte einen Teil deiner Qualen auf mich bürden.“
„Nein, glaub mir. Das willst du nicht.“
Roven sah zu Boden und schüttelte langsam den Kopf.
„Thanju, darf ich …“
Er straffte seine Schultern, erwiderte Jus Blick und setzte noch einmal an.
„Ist es mir gestattet, eine Bitte an den ehemaligen Dynasten zu richten?“
„Alles, was du wünschst, Bruder.“
„Ich weiß nicht, wie lange ich fort sein werde. Bitte sorge dafür, dass es Jason und Adam an nichts fehlt.“
„Natürlich“, bestätigte Ju mit einem Kopfnicken. „Ich hoffe, dein Weg wird dich befreien.“
Dieses Mal konnte der Tibeter dem Leidenden keine Erlösung bieten. Und er hasste sich dafür.
Roven ging an den Ort, wo alles begonnen hatte. Dort sollte es enden.
Der Hampstead Heath Park hatte sich verändert, wirkte kahl und farblos. Die Wolken verdeckten den Mond und sandten strömenden Regen zur Erde.
Er war es leid, das Leiden.
Er wollte und er konnte nicht mehr. Ein allerletztes Mal noch sollte Naham an die Oberfläche gelangen. Seitdem er allein war, hatte sich die Bestie versteckt und geschlafen. Nur die Erinnerungen an Selene vermochten sie vielleicht zu wecken.
Roven rief sich ihren Duft ein letztes Mal ins Gedächtnis. Er versank in den satten, lebendigen Augen und zog ihren zarten Körper an sich. Und er hielt den Moment fest, als sich ihre Lippen einander näherten und er diesen berauschenden Herzschlag das erste Mal wahrgenommen hatte.
Er fühlte es wieder.
Selene belebte ihn – und seine Bestie.
Das Summen kehrte zurück. Er spürte die Kraft in sich wachsen. Nahams Glühen bahnte sich einen Weg durch seinen Körper und entsprang den Augen, wie es auch damals geschehen war.
Der Akkadier schickte seine Sinne in die Nacht hinaus und suchte nach Taryk.
Er wollte sie zu sich locken, am besten ein ganzes Dutzend.
Der Regen prasselte auf ihn nieder, als würde er Rovens Schmerzen teilen. Es kam einer Reinigung gleich. Und die Seelenlosen
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