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Seelengrab (German Edition)

Seelengrab (German Edition)

Titel: Seelengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Buranaseda
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unterbrochen.
    Hirschfeld fluchte und steckte das Telefon wütend zurück in seine Hosentasche.
    „Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich Kirchhoff, der neben ihm stehen geblieben war.
    „Mein alter Herr …“, begann Hirschfeld.
    „Ein Notfall?“
    „So klang es zumindest“, erwiderte Hirschfeld und wünschte sich im selben Augenblick, er hätte den Anruf nicht entgegengenommen.
    Kirchhoff sah auf die Uhr.
    „Wo musst du hin?“, fragte er.
    Hirschfeld überlegte kurz. Bis auf Edith Richter wusste niemand etwas über seinen Vater. Früher oder später würde er jedoch nicht umhinkommen, ihn zu erwähnen.
    „In die Rheinische Landesklinik.“
    Kirchhoff ließ sich nichts anmerken.
    „Das ist nicht weit vom Rechtsmedizinischen Institut entfernt. Ich setze dich dort ab. Wir haben noch knapp anderthalb Stunden Zeit bis zur Obduktion. Wenn es länger dauern sollte, fahre ich schon mal vor.“
    Hirschfeld nickte und war dankbar, dass Kirchhoff auf weitere Rückfragen verzichtete.
    Etwa 20 Minuten später drückte Hirschfeld zum dritten Mal auf die Klingel der Akutstation, auf der sein Vater untergebracht war. Bei seinem letzten Besuch hatte Heinrich ihn vollkommen ignoriert. Er hatte ihn keines Blickes gewürdigt und kein Wort mit ihm gesprochen. Der Besuch war genauso frustrierend verlaufen, wie Hirschfeld es erwartet hatte. Umso beunruhigter war er, dass sein alter Herr ihn angerufen hatte. Auf seinem Zimmer hatte er kein Telefon, demnach musste er den Gemeinschaftsapparat der Station benutzt haben.
    „Ich möchte zu meinem Vater“, sagte Hirschfeld, der auf der Treppe zum ersten Stock zwei Stufen auf einmal genommen hatte, außer Atem, als sich die schwere Holztür öffnete.
    Diesmal nahm ihn eine blonde Krankenschwester in Jeans und einem petrolfarbenen Wollpullover in Empfang.
    „Und wie lautet der werte Name?“, fragte die Schwester und schenkte ihm ein belustigtes Lächeln.
    „Hirschfeld. Heinrich Hirschfeld.“
    „Folgen Sie mir bitte!“, erwiderte sie, trat aus der Tür und schloss hinter sich ab.
    Ein beklemmendes Gefühl stieg in Hirschfeld auf. Irritiert fragte er:
    „Ist er nicht auf seinem Zimmer? Vorhin schien es ihm nicht gut zu gehen.“
    Die Krankenschwester zog überrascht die Augenbrauen hoch und blieb vor einer weißen Tür stehen.
    „Sind Sie deshalb so gehetzt?“, wollte sie wissen, diesmal ohne jede Häme.
    Hirschfeld senkte betroffen den Kopf und versuchte sich einzureden, auf alles gefasst zu sein.
    „Ihr Vater wurde zur Therapie abgeholt. Sie dürfen sich gerne selbst ein Bild davon machen.“
    Damit öffnete die Krankenschwester die Tür und entließ Hirschfeld in einen lichtdurchfluteten Raum mit deckenhohen Fenstern auf der gegenüberliegenden Seite der Tür. Das Zimmer maß mindestens 50 Quadratmeter. An der linken Wand reihten sich mehrere große Holzregale aneinander, in denen sich große Papierrollen, Holzreste und Werkzeug aller Art stapelten. Die rechte Wand war über und über mit selbst gemalten Bildern übersät, die von unterschiedlicher Begabung ihrer Schöpfer zeugten. Es roch nach Farbe und Verdünner.
    „Kann ich Ihnen helfen?“, kam Hirschfeld eine dürre Frau in den Sechzigern entgegen.
    Sie war von einem der ausladenden Werktische aufgestanden, die sich in der Mitte des Raumes befanden, und ganz in Schwarz gekleidet. Über einer Leinenhose trug sie einen weiten Kaftan, der an Saum und Ärmeln mit Zierperlen bestickt war. Sie hatte Henna gefärbtes glattes Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte. Ihre zierlichen Füße steckten in Segeltuchschuhen mit Stoffsohle.
    „Lutz Hirschfeld“, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. „Ich suche meinen Vater.“
    „Ach so“, ihr Gesicht erhellte sich. „Mein Name ist Jutta Nass-Dick. Ich freue mich immer, wenn die Angehörigen unserer Schützlinge, wie ich die Patienten gerne nenne, sich für unsere Tätigkeit interessieren.“
    Bevor sie weiterreden konnte, brüllte eine bekannte Stimme aus dem hinteren Teil des Werkraumes:
    „Das wurde aber auch Zeit, Junge! Hast du mal auf die Uhr geschaut?“
    Heinrich Hirschfeld thronte umringt von ein paar anderen Patienten auf der Stirnseite eines Tisches. Wie die anderen trug er einen alten Kittel, dessen ursprüngliche Farbe durch Kleckse in allen Schattierungen nur noch zu erahnen war. Vor ihm stand eine elektrisch betriebene Töpferscheibe, die sich unrund drehte. Darauf befand sich ein unförmiger Haufen Ton, der in unregelmäßigen Abständen auf das

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