Seelenriss: Thriller
die Augen! Ganz egal, was passiert, sieh ihn um Himmels willen nicht an!
Unmittelbar neben ihr blieb der Fremde stehen und beugte sich so tief zu ihr herunter, dass sie seinen Atem spüren konnte. »Schau mich an«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Ihr Herz schlug rasend schnell. »Nein, bitte!« Die aufsteigende Panik dämpfte ihre Stimme zu einem heiseren Krächzen, zugleich presste sie die Augenlider so fest aufeinander, dass sich ihr Gesicht verzerrte. Plötzlich umgriff er mit einer Hand grob ihren Unterkiefer und riss ihren Kopf hoch. »Du Schlampe sollst mich anschauen, hab ich gesagt!«, zischte er und drückte fest zu, bis sie schließlich tat, was er sagte. Langsam hob sie die Lider und blickte verängstigt zu ihm auf. Luise Wittner starrte in das Augenpaar eines vollkommen Wahnsinnigen und spürte, wie ihr abermals schwindlig wurde.
»Bitte, lassen Sie mich gehen«, flehte sie den Mann an, und ihre Tränen mischten sich mit ihrem Blut.
Doch dieses Monster im Kapuzenpullover dachte gar nicht daran. »Du scheiß Fotze hast mein Leben ruiniert!«, schrie er und spuckte ihr ins Gesicht. »Ich habe dir sogar die Chance gegeben, dich zu stellen – zu dumm von dir, dass du sie nicht genutzt hast …!«
Ihr Kiefer schmerzte so sehr, dass sie Mühe hatte, noch irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Was denn für eine Chance? schoss es ihr immer wieder durch den Sinn. Dann lockerte der Mann seinen Griff und ließ von ihr ab, um ihren Mund mit einem breiten Streifen Klebeband zu verschließen. Seine Augen blitzten boshaft auf, als er ihr die scharfe Klinge an die Kehle setzte. »Und jetzt ist der Tag gekommen, an dem du für deinen Fehler bezahlen wirst …« Ein dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Luise Wittners Herzschlag ging unregelmäßig, und sie erlaubte sich kaum noch zu atmen, als er mit der Messerspitze ganz langsam an ihrem Hals hinabfuhr. Ihr Kinn zitterte, und die Nasenflügel bebten, doch als Nächstes ließ der Mann unerwartet von ihr ab und ging zurück zum Couchtisch. Ihr Kopf sackte unsanft auf den Boden, und sie spürte, wie sie allmählich die Kräfte verließen. Sie zwang sich, die Augen weiterhin offen zu halten. Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, diesem Mann schon einmal begegnet zu sein, konnte sie mit Gewissheit sagen, dass es ihm Freude bereitete, sie so leiden zu sehen, und er ihren Qualen so bald kein Ende setzen würde.
»Büßen sollst du, genau wie die anderen«, sagte er wieder und wieder und verfiel dabei in eine Art Singsang, während er mit behandschuhten Fingern den Behälter auf dem Couchtisch nahm und vorsichtig aufschraubte. Luise Wittner schluckte das Blut in ihrem Mund herunter, als sie sah, wie der Mann mit dem Gefäß in der Hand auf sie zukam.
Er lächelte sie schief an. »Ich werde meine Rache vollenden, aber ich verzeihe dir.«
Wittner verzog das Gesicht und sah den Mann an, als habe sie sich verhört. » Sie verzeihen mir ?«, wollte sie sagen, brachte jedoch lediglich unverständliche Laute unter dem Klebeband hervor.
Wortlos stellte der Mann das Gefäß neben ihr auf dem Teppichboden ab, und sofort stach ihr der beißende Geruch von Säure in der Nase. Die entsetzliche Erkenntnis, es mit jenem Monster zu tun zu haben, das dieser Tage in aller Munde war und in den Medien als »Säure-Killer« Berühmtheit erlangt hatte, traf sie wie ein Keulenschlag. Stumme Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie zitterte jetzt so sehr, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Plötzlich horchte sie auf. Auf dem Hausflur draußen wurde das Klingeln eines Handys laut. Langsam hob sie den Blick und sah in die Richtung. Sollte doch jemand im Haus bemerkt haben, dass etwas nicht stimmte, und die Polizei verständigt haben? Luise Wittner klammerte sich an den Gedanken, dass jetzt doch noch alles gut würde.
»Ein Mucks, und du bist tot«, raunte der Mann in ihrem Wohnzimmer ihr zu und deutete mit seinem Messer einen Schnitt durch die Kehle an. Der Schweiß strömte ihr aus den Poren, und ihr war klar, dass sie die Chance ergreifen musste, um irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt oder nie! , schrie eine Stimme in ihr, und Luise Wittner nahm all ihren Mut zusammen, rollte sich mit enormer Kraftanstrengung auf die andere Seite und trat mit den zusammengebundenen Füßen den großen Blumenkübel um, der mit einem dumpfen Schlag gegen das bodentiefe Fenster kippte. Zu leise! Das war viel zu leise! Auf der Suche nach einem weiteren Gegenstand schnellte ihr
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