SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
entfernenden Geräusch.
Diese Welt machte ihn zunehmend traurig. Sie war ihm so fremd, dass es ihn auslaugte sie zu betrachten. Je mehr er sich bemühte sie zu verstehen, desto bewusster wurde ihm, dass er das gar nicht wollte.
In seiner Zeit hatten die Menschen gesagt: Rom sehen und sterben.
Er hatte Rom gesehen. Aber er hatte nicht sterben wollen. Nur weil sein Auge niemals wieder etwas Schöneres erblicken würde, nein! Diese Stadt hatte ihm die Luft zum Atmen genommen, seine Muskeln zittern lassen, weil es keinen Horizont mehr gab, und seine Augen waren auch nicht vor Staunen erstarrt ob der Wunder, die sie sehen durften. Sie waren wund geworden von so viel Überheblichkeit, Prunk und Größenwahn.
Er hatte erkannt, dass es den Mächtigen einfach im Blute lag so zu leben. Sie konnten nicht anders. Er ahnte, dass allein die finanziellen Mittel sie zuweilen dabei stoppten, denn Sklaven und Material waren im Überfluss da. Mit nie zu leerenden Kammern aus Gold hätten sie wahrscheinlich Gebäude errichtet, die einem Wahn gleich gekommen wären. Doch woraus speiste sich dieser? Er wurde aus dem Fleisch und den Muskeln derer gerissen, die schwächer als sie waren oder besiegt.
Und nun, über hundert Generationen später?
Liran hatte nichts gehört oder gesehen, das ihn glauben ließ, dass diese Meinung keine Gültigkeit mehr hatte. Im Gegenteil.
In dieser Welt gab es für ihn nur einen einzigen Platz, an den er gehörte und der sich vertraut anfühlte. An ihrer Seite.
Die Traurigkeit wich einer tiefen und alten Verbundenheit, als er Nilah ansah. Er hätte ewig in dieses Gesicht sehen können und wäre nicht müde geworden es zu bewundern; die dunklen Wimpern, die gebogenen Brauen, die kleinen Fältchen, die sich an der Nase kräuselten, wenn sie lachte. Wie sie den linken Fuß bewegte, wenn sie nicht wusste, was sie sagen oder tun sollte.
Was nur zog ihn an diesen Frauen so sehr an, die zwar imstande, die Welt zu verändern, die aber gleichzeitig so zerbrechlich waren? Wahrscheinlich genau das, dachte er bitter.
Mit einem sorgenvollen Blick trat er näher. Nilahs Atem kam plötzlich nur noch stoßweise und als Liran ihre Hand ergriff, glühte diese. Ratlos blickte er sich um, durchwühlte die Schränke, fand eine Art Blechnapf, den er sofort aus der Luke in den Regen hielt. Metallisch tanzten die Tropfen darin. Er sah zurück zum Bett. Es schien, als hätte Sunabru etwas absichtlich in ihren Körper gesetzt und nun begann dessen Werk. Denn jetzt musste Nilah ohne ihn kämpfen, auch wenn er …, nein. Sollten sie sich am Ende erneut gegenüber stehen, schwor er sich, würde er diesem Irren mehr als nur den Arm abtrennen.
Er hockte sich neben Nilah, tauchte ein Stück Stoff in den Blech-topf, tupfte ihre Stirn ab, ihren Mund und wich zurück. Das Wasser gefror knisternd auf ihrer Haut. Wieder fühlte er ihre Hand. Doch diesmal tat die Berührung fast weh, so kalt war sie. Liran zog seine Jacke aus und legte sie über die nun zitternde Nilah. Ihre Lippen bebten bläulich und wie fahle Asche wirkte ihr Gesicht in dem Zwielicht der Kajüte.
Unwillkürlich griff sich Liran ins Haar und fühlte den Gegenstand, der dort eingeflochten war, in seiner Hand. Enya hatte es ihm prophezeit: Es wird der Augenblick kommen, Liran, Anam Ċ ara, da wird in ihr ein furchtbarer Kampf toben. Nicht schlagend, nicht stechend wird er gefochten, sondern grabend und wühlend werden seine Taten sein. Nach oben wird fließen, was unten nicht sein darf. Und dort, endlich ans Licht gezerrt, wird nur noch eines davon seinen Atem hören können.
Sei all das, was sie ist, was sie werden könnte. Sei bei ihr!
Liran erschauderte.
›Tobte dieser Kampf bereits in Nilah? War es dieser Moment, von dem die Druidin so eindringlich gesprochen hatte?‹ Als wäre es eine Antwort, hörte alles Zittern an ihrem Körper auf und erstarrte stattdessen. Ihre Züge wirkten angespannt, die Muskeln verkrampft, als leide sie große Angst, der sie nicht gewachsen war. Tränen liefen aus ihren geschlossenen Augen.
Liran war der Verzweiflung nahe. Was konnte er tun? Sei bei ihr ...
Er nahm seine Jacke wieder von ihr, denn auf ihrer Stirn glänzten erneut Schweißperlen, ihre Lippen bekamen Risse. Ein so schnell wechselndes Stadium zwischen Fieber und Schüttelfrost hatte er noch nicht erlebt.
Plötzlich ruckte ihr Körper vor und ihre Beine strampelten, als hätte sie etwas Unsichtbares heftig gestoßen, oder als wäre sie in eine tiefe Grube
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