SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
durch den Feind entrissen worden, auch das war anders gewesen.
Langsam erhob sich aus dem Fleck am Boden eine Gestalt. Pfoten wuchsen aus ihm, weißes schneefarbenes Fell spross aus dem Blau, ein Kopf entstand, Ohren wuchsen und schließlich sahen ihn goldene Augen an, aus denen kalter Zorn funkelte. Anmutig tänzelte der Wolf rückwärts und hielt den Blick.
»So sehen wir uns also einmal von Angesicht zu Angesicht. Und so sehe ich auch dem Mann in die Augen, der den meinen in den Tod schickte«, knurrte die Wölfin und hob die Lefzen. Ihre Reißzähne schimmerten.
Liran sah nicht weg.
»Du weißt selbst, dass ich nichts tun oder sagen könnte, das dir dabei helfen würde zu verstehen oder zu verzeihen, also lasse ich es. Aber höre dies: Wenn du Ihads Tod in etwas Sinnloses verwandeln willst, so ist jetzt der rechte Zeitpunkt für dich zu gehen. Ich breche den Bann und lasse dich ziehen. Nie wieder soll deine Gestalt durch meine Adern fließen.«
Die Wölfin starrte ihn an. Unendlich langsam hob sie ihre schlanken Beine, setzte ihre Pfoten lautlos auf den Teppich und kam näher. Ihr Nackenfell sträubte sich und machte sie größer. Ganz dicht stand sie jetzt vor ihm und in ihren Augen sah Liran nur noch eines: Wut.
»Du magst denken, dass es ein Privileg war, eine Ehre, als man unsere Körper verwandelte und in den eines anderen einschloss. Vielleicht meinst du, es sei wundervolle Magie gewesen, die dich dazu befähigte, dir unsere Sinne zu borgen. Als die Druidin uns unter deine Haut bannte, verlor ich das Einzige, was ich geliebt habe: meine Freiheit! Nichts wollen Wölfe mehr als das! Ihre Freiheit und nichts mit den aufrecht Gehenden zu tun haben. Ihr Menschen lebt noch nicht lange genug, um das verstehen zu können. Nur die Berge tun das.«
»Dies hier ...«, fauchte Liran zurück und deutete auf sich selbst,»war nicht meine Idee. Man hat mich in den endlosen Gezeiten versteckt, über zweitausend Jahre lang. Aber nun bin ich hier und ich kann nichts daran ändern. Aber ich kann etwas tun. Ich kann Nilah beschützen und das werde ich auch, egal wie.«
Die Ohren der Wölfin bewegten sich kurz, dann schnupperte sie, wobei sie leicht den Kopf anhob.
»Ihad erzählte mir, er habe in den Kammern deines Herzens gelegen und eine Nacht lang seinem Klang gelauscht. Dabei hätte er etwas gehört, das er nicht vergessen könne. Ich glaubte ihm nicht. Wir haben uns gestritten, welche Farbe deine Seele hat«, sie stockte.»Ich vermisse ihn so sehr. Ich vermisse seine Zuversicht und seinen warmen Atem in meinem Fell. Ich ...«
Liran streckte die Hand aus und berührte ganz sachte den Kopf der Wölfin. Es war als streiche man durch hauchdünnes, weiches Gras. Er schloss die Augen und zog die Hand wieder fort. Die Wölfin sah ihn mit entschlossenen Augen an.
»Einst haben Magier unsere kleine Welt aus den Angeln gehoben und in eine große Welt gestoßen. Ich werde nicht verzeihen, was man mir und meinem Gefährten antat, niemals, aber ich werde nicht zulassen, dass ein weiterer Magier etwas tut, das niemand mehr rückgängig machen kann.«
Liran knotete das Amulett aus seinem Haar und gab es der Wölfin, die es behutsam in die Schnauze nahm.
»Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte er und lächelte matt.
Die Wölfin sprang auf das Bett. Liran hob die Jacke an, zog erneut das Sweatshirt von Nilah ein wenig hoch. Dann, nach einem kurzen, entschlossenen Blick, floss die Wölfin in den tiefschwarzen Brunnen und war nur einen Herzschlag später darin verschwunden.
Ein Schrei riss Liran aus dem Dickicht seiner Träume. Sein Kopf ruckte hoch und prallte gegen die Wand hinter ihm. Er musste eingeschlafen sein. Verwirrt blickten seine Augen auf und sahen, dass sich das Licht verändert hatte. Schweres, bleiernes Grau zog an dem Bullauge vorbei. Es regnete noch immer. Folgte dieses Wolkengebirge etwa dem Schiff?
Dann sah er die Faust. Nilahs Arm ragte aus dem Faltengewirr der Jacke, empor gestreckt wie ein Zeichen des Sieges und ihr Gesicht sah wesentlich besser und zuversichtlicher aus als in der Nacht zuvor. Sie hatte auch kein Fieber mehr und der Schüttelfrost schien ebenfalls der Vergangenheit anzugehören. Dafür waren seine und ihre Sachen nass von Schweiß und Tränen. Was immer sie getan hatte, sie hatte sich durchgekämpft und geweint.
Mit erschöpften Augen verfolgte Liran wie das graue Licht langsam wieder in Dunkelheit gewoben wurde. Der Regen hörte auf und das stetige Brummen der großen Maschine,
Weitere Kostenlose Bücher