SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
heißen Tee und Amulette gegen so ziemlich alles. An einem kleinen Stand, der aus nicht mehr als einem Tapeziertisch, einigen dicken Kerzen und Emailleschüsseln bestand, konnte man Bleigießen und sich dann von einer kundigen Dame mit spitzem Hut die entstandene Form erklären lassen.
Die Luft war erfüllt vom Duft brennenden Holzes und so mancher hatte anscheinend das Fest dazu benutzt, den Keller oder den Dachboden auszuräumen, denn es knisterten auch Teile von Stühlen und Schränken und sogar ein paar alte Holzskier in den Flammen. Hin und wieder blies eine sanfte Böe tausende Funken in die Luft, was aussah, als würden Sterne von unten nach oben fallen, und überall waren fröhliche Stimmen, Gelächter und angeregte Unterhaltungen zu hören. Das ganze Dorf war auf den Beinen und selbst die Alten waren dabei, für die man Stühle bereitgestellt hatte und die mit dicken Decken auf den Knien andächtig ins Feuer blickten, als seien darin alte Erinnerungen verborgen, die sonst nur in den Falten ihrer Gesichter vergraben waren. Andere hockten auf mitgebrachten alten Matratzen: Pärchen, die sich in den Armen hielten, Freunde, die tuschelten und die Hände um die heißen Glühweinbecher geschlungen hatten, Einzelgänger, die mit glänzenden Augen vielleicht Antworten in den Flammen suchten.
Musik wurde gespielt und Nilah fühlte sich stark an die irische Musik erinnert. Dudelsäcke, Flöten, Trommeln und Geigen spielten tanzbare Noten und vor allem die Kleinen hopsten wie eine wilde Meute fröhlich um das Feuer herum, während die Feuerwehrmänner lässig alles beobachteten und selbst Gläser in den Händen hielten.
Nilah hatte schon so manches Osterfeuer mitgemacht, daheim in Hamburg, doch hier spürte man, dass es eine andere Bedeutung hatte. Caitlyn erklärte ihr, dass man das Fest Samhain nannte, bevor daraus ein billiger Halloween-Abklatsch geworden war. Das Wort kam von Sam fuin , was Sommers Ende bedeutete und eines der wichtigsten Feste in der keltischen Religion war, wenn sie es denn so bezeichnen wollte. Denn es gab eigentlich nur zwei Jahreszeiten: Die helle und die dunkle. Samhain markierte den Beginn der dunklen Zeit. Man holte das Vieh von den Weiden, legte Wintervorräte an, zahlte seine Tribute und wusste, die nächsten sechs Monate würde sich vieles im Haus abspielen. Die Saison der Geschichten brach an, die man an den Feuern erzählte.
Nilah fühlte sich neben dieser schönen, vor Kraft strotzenden Frau klein und unbedeutend. Sie hatte sechs Kinder bekommen und strahlte eine Gelassenheit aus, die sie selbst nie in sich gespürt hatte. Nilah stellte Fragen und bekam gelächelte Antworten, wobei die Hausdame feststellte, dass Nilahs Akzent ziemlich irisch klang. Nilah erzählte ihr, dass sie mütterlicherseits zur Hälfte irisch sei, woraufhin Caitlyn lachend meinte, dass sie damit schon zur Hälfte im Paradies stehe. Nilah aber würgte die Bemerkung hinunter und sah zum Feuer, das heiß in ihrem Gesicht brannte und sie hoffte, die frischen Tränen würden schnell trocknen.
Caitlyn merkte an, dass sie Waliserin sei und winkte nebenbei einem Nachbarn zu. Eigentlich, so fuhr sie fort, sei das ganze Jahr wie in einem Tag gespiegelt, der aus vier Zeiten bestehe. Imbloc, der 1. Februar und Frühlingsanfang, stehe für den Morgen, Beltene, der 1. Mai und Sommeranfang, für den Mittag, Lugnasa, der 1. August, für den Herbst und somit den Abend, und eben Samhain, der 1. November, für den Winter und damit für die Nacht. Nilah war fasziniert und bekam nur noch zur Hälfte mit, dass die Stunden vor Samhain auch ein Tor für die Geister sei und sie vorsichtig sein solle. Sie wurde von den beiden mittleren Schwestern fortgezogen. Annik und Kellyn wollten Bleigießen und drängten sie zu erfahren, welche Liebe vielleicht in ihr Leben treten, wer sterben oder verreisen würde. Es sei ein toller Spaß. Nilah folgte ihnen und suchte in der Menge nach Liran, doch er war nirgends zu sehen.
Am Stand für das Bleigießen hielten Leute spezielle Löffel über die Kerzenflammen, Blei schmolz, es zischte, wenn es in die Schüsseln fiel und es wurde aufgeregt diskutiert, was denn der herausgefischte Klumpen zu bedeuten habe. Die beiden Schwestern kicherten und hielten angespannt ihre Löffel über eine frei gewordene Kerze und fielen dabei in die bretonische Sprache, die Nilah nicht verstand. Überall um sie herum war das so und es kam ihr vor, als gehöre sie nicht hierher, auch wenn es ihr gefiel. Ein
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