Seidenfächer
hatte, und empfahl ein paar Kräuter, aus denen man Tee brühen konnte, um den Schmerz zu lindern. Ich kostete nichts von der bitteren Brühe bis zu dem Tag, an dem es den ersten Schnee gab und meine Mittelfußknochen brachen. Ich war durch die Kombination von Schmerzen und Kräutern wie in Trance, als sich der Zustand von Dritter Schwester plötzlich veränderte. Ihre Haut brannte. Ihre Augen glänzten feucht im Fieberwahn, und ihr rundes Gesicht wurde ganz kantig. Als Mama und Tante nach unten gingen, um das Mittagsmahl vorzubereiten, bekam Ältere Schwester Mitleid mit ihrer erbärmlichen Schwester und ließ sie sich auf einem der Betten ausstrecken. Schöner Mond und ich gönnten uns eine Pause vom Gehen. Wir hatten Angst, beim Sitzen erwischt zu werden, und so stellten wir uns zu Dritter Schwester. Ältere Schwester rieb Dritter Schwester die Beine und versuchte, ihr die Schmerzen ein wenig zu erleichtern. Aber es war tiefster Winter, und wir alle trugen unsere dickst wattierten Kleider. Mit unserer Hilfe zog Ältere Schwester Dritter Schwester das Hosenbein hoch zum Knie, so dass sie ihr die Wade direkt massieren konnte. Und da sahen wir die hässlichen roten Streifen, die unter den Bandagen von Dritter Schwester hervorkamen, sich das Bein hinaufzogen und wieder unter der Hose verschwanden. Wir warfen uns einen kurzen Blick zu und untersuchten dann rasch das andere Bein. Auch dort waren die roten Streifen.
Ältere Schwester ging nach unten. Um zu erzählen, was sie entdeckt hatte, musste sie zugeben, dass sie ihre Pflichten vernachlässigt hatte. Wir erwarteten zu hören, wie Mama Ältere Schwester ins Gesicht schlug. Aber nein, stattdessen kamen Mama und Tante die Treppe heraufgeeilt. Oben am Absatz blieben sie stehen und sahen sich im Zimmer um – Dritte Schwester mit ihren bloßen Beinchen stierte an die Decke, zwei weitere Mädchen warteten ängstlich darauf, bestraft zu werden, und Großmutter schlief unter ihren Decken. Tante warf nur einen Blick auf die Szenerie und ging sofort Wasser kochen.
Mama ging zum Bett. Sie hatte ihren Stock nicht dabei und flatterte durch den Raum wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln, und ebenso unfähig war sie auch, ihrer eigenen Tochter zu helfen. Sobald Tante zurückgekehrt war, begann Mama, die Bandagen aufzuwickeln. Ein widerlicher Geruch breitete sich im Zimmer aus. Tante musste würgen. Obwohl es schneite, riss Ältere Schwester das Reispapier vor den Fenstern weg, damit der Gestank verfliegen konnte. Schließlich waren die Füße von Dritter Schwester ganz zu sehen. Der Eiter war dunkelgrün, und das Blut war zu einer bräunlichen, ekelhaften Masse geronnen. Dritte Schwester wurde in eine sitzende Position gebracht, und ihre von den Bandagen befreiten Füße in eine dampfende Schüssel Wasser gesteckt. Sie war so weggetreten, dass sie nicht einmal aufschrie.
All das Gebrüll von Dritter Schwester in den vergangenen Wochen bekam nun eine andere Bedeutung. Wusste sie an diesem ersten Tag schon, dass etwas Schlimmes passieren könnte? War das der Grund, weshalb sie sich so widersetzt hatte? Hatte Mama in der Eile einen schrecklichen Fehler begangen? Hatten Falten in den Bandagen die Blutvergiftung von Dritter Schwester ausgelöst? War sie so schwach, weil sie unterernährt war, so wie Frau Wang es von mir behauptet hatte? Was hatte sie in ihrem Vorleben getan, dass sie nun diese Strafe verdiente?
Mama schrubbte die Füße, um die Infektion zu entfernen. Dritte Schwester wurde ohnmächtig. Das Wasser in dem Eimer wurde trübe von dem üblen Ausfluss. Schließlich zog Mama die gebrochenen Gliedmaßen aus dem Eimer und tupfte sie trocken.
»Mutter«, rief Mama ihre Schwiegermutter, »Ihr habt mehr Erfahrung als ich. Bitte helft mir.«
Doch Großmutter rührte sich nicht unter ihren Decken. Mama und Tante waren sich nicht einig, was als Nächstes zu tun war.
»Wir sollten ihre Füße an der Luft lassen«, schlug Mama vor.
»Du weißt genau, dass das am schlimmsten ist«, entgegnete Tante. »Viele von ihren Knochen sind doch schon gebrochen. Wenn du sie nicht bindest, heilen sie nie richtig. Sie wird ein Krüppel. Und man kann sie nicht verheiraten.«
»Ich hätte sie lieber unverheiratet auf dieser Erde, als dass ich sie für immer verliere.«
»Dann hätte sie aber keinen Zweck und keinen Wert«, hielt Tante dagegen. »Deine Mutterliebe sagt dir, dass dies keine Zukunft ist.«
Während der ganzen Zeit, in der sie stritten, machte Dritte Schwester keinen
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