Seidenfpade
veranlaßte, Nodas Worte noch sorgfältiger zu registrieren.
Als Dani um den Schaukasten herumging, folgte Shane ihr. Beide betrachteten aufmerksam das außergewöhnliche Stück.
Noda wies sie auf die Muster der Seitenteile hin: »Sie sind gleichzeitig abstrakt und konservativ.«
»Uralte heilige Kraniche zwischen weißblauen Ozeanwellen«, sagte Dani feierlich. »Doch das Bild besitzt eine Dynamik der Bewegungen, die neu ist.«
»Ganz genau«, pflichtete Noda ihr bei. »Jetzt sehen Sie sich einmal den Rücken an.«
Dieser Teil des Kimonos war zu einem anmutigen Fächer auseinandergezogen, so daß der goldschwarze Karpfen, der zwischen sanft wogenden Schilfgräsern schwamm, sichtbar war.
»Der Entwurf ist traditionell«, sagte Dani, »stammt aus der Edo-Periode.«
»Aber im Gegensatz zu rein traditionellen Edo-Arbeiten«, bemerkte Noda, »fällt Ihnen sicher der Karpfen auf. Er besitzt ein beinahe postmodernes SeIbstbewußtsein. Sie sehen das an seinen Augen und an dem gerissenen Zug um seinen Bart.«
Shane studierte den Fisch genau. Seine herunterhängenden Bartenden besaßen tatsächlich Ähnlichkeit mit denen eines japanischen Patriarchen.
»Der Karpfen ist wirklich gelungen«, meinte Dani zurückhaltend, »aber ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, worauf du hinauswillst.«
»Um das zu verstehen, muß man die überlieferte Bedeutung des Karpfens kennen«, räumte Noda ein.
»Dieser Wasserbewohner ist das Symbol für Geduld und Durchhaltevermögen«, lieferte Shane die Interpretation.
Noda, den Shanes Kenntnisse nicht überraschten, lächelte.
»Also«, begann er, »stellen Sie sich den Karpfen als einen Geschäftsmann vor, der sich langsam gegen die Strömung seinen Weg bahnt, immer wartend, bis sich seine Geduld einmal bezahlt macht.«
»Das ist eindeutig die konservative Auffassung eines japanischen Industriellen«, bestätigte Dani.
»Und dieser Fisch wirkt beinahe hämisch«, meinte Noda, »als ob er sicher wäre, daß die Strömung sehr bald in seine Richtung schwenkt.«
Shane blickte voller Interesse auf.
»In Wahrheit«, fuhr ihr gebildeter Führer fort, »ist der Bursche hier ein sorgfältig entworfener und exzellent ausgeführter Kommentar zu der Natur der japanischen Geschäftswelt in der heutigen Zeit.«
»Und das entnimmst du alles diesem Muster?« fragte Dani.
»Siehst du den seidenen Unterkimono?« überging Noda ihre Frage. »Er entstammt den klassischen Kostümen des No-Theaters. Eine der bekanntesten No-Figuren ist eine Jungfrau, die um Einlaß in den Tempel ersucht.«
»Ich erinnere mich«, fiel Dani ein. »Die Zuschauer wissen, daß sie keine Jungfrau ist.«
»Genau«, sagte Noda. »Sie wissen, daß sie eine Hexe ist, weil sie die silbernen Dreiecke auf ihrem seidenen Untergewand glitzern sehen. Sie wissen, daß das der Schimmer von Schlangenschuppen ist.«
Schweigend studierte Dani den Kimono und hoffte darauf, daß Noda weniger in Rätseln sprechen und deutlicher werden würde.
Shane sah sich die zugehörige Karte an, die neben dem Kimono im Schaukasten lag. In japanischen Schriftzeichen und auf Englisch stand darauf der Name der Künstlerin sowie ein Dank an den Besitzer des Prachtstücks, der ihn zur Verfügung gestellt hatte.
Der Besitzer war Yukio Koyama.
Wortlos wies Shane Dani auf die Plakette hin.
»Die Japaner haben eine eigene Auffassung von der Art, wie die tonangebende Gesellschaft und die Unterwelt miteinander umgehen sollten«, erläuterte Noda. »Einige japanische Geschäftspraktiken würde ein Amerikaner als ausgesprochen hinterhältig bezeichnen.«
»Wie das?« fragte Dani.
»Zum Beispiel«, führte Noda an, »gibt es da die sokaiya, die Finanzgangster, die Aktionärskonferenzen platzen lassen und Schutzgelder von den großen Firmen erpressen. Die meisten Japaner halten sie für Mitglieder der verschiedenen Yakuza, der japanischen Mafia.«
»In diesem Fall sollte der Karpfen-Boß eher besorgt als hämisch dreinschauen«, empfahl Dani.
»Außer, der Karpfen gehört selbst zu den sokaiya «, wandte Shane ein.
Wieder lächelte Noda. »Ich glaube, daß der hier, äh, Pate aller Karpfen ist. Er kontrolliert die Übergänge, wenn Sie so wollen, zwischen dem organisierten Verbrechen und dem legalen Establishment in Japan.«
»Kein Wunder, daß Kodjimura mit dem Sammeln von Seide angefangen hat. Da haben sie wenigstens etwas, worüber sie in der Öffentlichkeit reden können.«
»Kunst ist wie das Leben selbst«, dozierte Noda, »voller Subtilität,
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