Seidenfpade
unten in dem übergroßen roten Strumpf lag ein kleines, flaches Paket. Liu fischte und wühlte, bis er das Ganze schließlich umstülpte und den Inhalt kurzerhand in seinen Schoß schüttelte.
Sein Präsent war in hübsches, goldblaues Geschenkpapier eingewickelt und mit einem leuchtend blauen Samtband verschnürt. Das Muster auf dem Papier sah offiziell aus und kam ihm auch irgendwie bekannt vor, aber er konnte es nicht gleich einordnen.
Dann fiel es ihm wieder ein.
Beinahe widerwillig zog er das Samtband auf. Er blinzelte einen Moment zu Katja hinüber. Auf seiner dunklen Miene malte sich ein Ausdruck gelinder Überraschung.
Katjas grüne Augen funkelten wie die einer entzückten Mätresse, die keine Mittel scheute, ihrem Herrn und Meister eine Freude zu machen.
Liu, der immer noch zögerte, drehte das flache Paket um und sah sich die Rückseite an. Dann öffnete er rasch die Schleife mit seinen kleinen geschickten Fingern und brach das Siegel der Verpackung auf. Das blaue Papier paßte genau zu dem blauen Einband des Büchleins, das darin lag.
Tony Liu wußte, worum es sich bei diesem Büchlein handelte, schon bevor er es umgedreht und die Großbuchstabeninschrift auf der Vorderseite gelesen hatte.
Passport, Commonwealth of Canada.
Wortlos strich Liu über das kunstvolle Siegel auf dem Deckel. Er öffnete das Dokument und starrte sein Paßfoto an, das auf der Innenseite klebte und mit einem offiziellen Stempel versehen war. Darunter befand sich eine leere Zeile für seine Unterschrift.
Für ein paar Sekunden verschwand das Grinsen endgültig von seinem Gesicht. Er sah skeptisch drein. Mit vorgetäuschter Gleichgültigkeit untersuchte er den Einband des Passes, seine Bindung, das Vorgedruckte und blätterte dann durch die leeren Visumstempelseiten.
»Das ist eine exzellente Fälschung«, nickte er anerkennend.
»Die Regierung von Kanada gibt keine Fälschungen heraus«, korrigierte Katja leise.
Liu blickte sie an, um zu sehen, ob sie sich einen Scherz mit ihm erlaubte.
Sie setzte ihr charmantestes Lächeln auf.
»Der Paß ist so echt wie die Wertschätzung der Harmony für Sie«, erläuterte sie. »Die Anträge sind allesamt bewilligt worden, und die erforderlichen Unterlagen wurden in Ottawa angefertigt.«
Sie zauberte einen Mont-Blanc-Kugelschreiber von der Größe einer teuren Zigarre hervor und reichte ihn Liu.
»Wenn Sie Ihre Unterschrift auf die leere Zeile setzen, werden Sie automatisch kanadischer Staatsbürger«, drängte Katja ihn.
»Kanadier?«
Sallie Spagnolini lachte und kam herbeigeschlendert, um einen Blick auf das originelle Geschenk zu werfen.
»Wenn ich gewußt hätte, daß du eine neue Staatsbürgerschaft brauchst«, sagte er, »dann hätte ich mit einem meiner Senatoren geredet. Du hättest ein waschechter US-Bürger werden können.«
Katja warf ihm einen kühlen Seitenblick zu.
»Die amerikanische Staatsbürgerschaft ist nicht mehr das große Los, das sie einmal war«, meinte sie. »Ein kanadischer Paß schenkt einem dieselben Vorteile, aber ohne die damit verbundenen Probleme.«
»Genau, Sallie«, mischte sich La Pena ein. »Ein Amerikaner in einem gekidnappten Flugzeug ist eine Geisel, ein Kanadier ist ein Botschafter des guten Willens.«
Bevor die abfällige Bemerkung noch zu einer Auseinandersetzung führen konnte, gab Katja diskret ein Signal. Eine Parfumwolke stob auf, als die Mädchen rasch herankamen, um sich mit flinker Hand ihres jeweiligen Klienten zu bemächtigen.
Nun waren die Männer der Harmony beschäftigt und ließen Katja mit Tony Liu allein.
Obwohl sich Lius Gesichtsausdruck, mit dem er Katja ansah, nicht verändert hatte, schimmerte jetzt zum ersten Mal die Intelligenz durch, die er hinter seinem ausdruckslosen, glatten Gesicht versteckte.
»Wie haben Sie das geschafft?« fragte er ruhig.
»Wieso dieser Antrag bewilligt wurde, wo all Ihre anderen abgewiesen wurden?« fragte sie.
»Ja.«
»Das ist unwichtig.«
»Ach ja?«
»Es zählt nur«, sagte Katja liebenswürdig, »daß Sie nun direkt an der Einwanderungsbehörde vorbeispazieren können, wenn Sie das nächste Mal auf dem Flughafen von Vancouver landen, um Ihren kleinen Enkel in Burnaby zu besuchen.«
Lius schwarze Augen weiteten sich leicht bei der Erwähnung seines Enkels.
»Und Sie können darüber hinaus jederzeit über die Grenze in die Vereinigten Staaten reisen«, fügte sie hinzu. »Kanadischen Staatsbürgern ist das grundsätzlich gestattet.«
»Nicht, wenn sie Tony Liu
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