Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
auch keinen Laut von sich.
    »Was, zu mir?« fragte der Wärter überrascht. »Was sollte ein Lord jemandem wie mir erzählen?«
    »Sie haben also schweigend hier gewartet?« fragte Monk.
    »Ja. Hat nicht lange gedauert, drei oder vier Minuten, dann war Jimson wieder zurück mit Papier, Feder und Tinte. Ich habe alles Seiner Lordschaft gegeben, die Zellentür wieder geöffnet, und dann ist er hineingegangen, und ich habe abgeschlossen.«
    »Und dann?«
    Der Mann legte das Gesicht in Falten und konzentrierte sich.
    »Ich versuche zu überlegen, ob ich irgendwas gehört habe, aber ich kann mich nicht erinnern. Ich hätte wohl…«
    »Warum?«
    »Na ja, irgendwas müßte man doch gehört haben, oder?« sagte er vernünftig. »Weil nach ein paar Minuten ja Seine Lordschaft an die Tür gehämmert und um Hilfe gerufen hat, mächtig laut hat er gerufen, als hätte er schlimme Probleme - was ja auch stimmte.«
    Er holte tief Luft und starrte Monk immer noch an. »Also sind wir, ich und Jimson, hin zur Tür, sofort, ja. Jimson hat aufgeschlossen, und ich stand bereit, weil ich ja nicht wußte, was los war.«
    »Und was haben Sie vorgefunden?«
    Er sah zu der ungefähr drei Meter weit entfernten Zellentür hinüber, die nur angelehnt war.
    »Seine Lordschaft taumelte und schlug mit den Fäusten gegen die Tür«, antwortete er mit gepreßter Stimme. »Und war voller Blut, so wie jetzt.« Er sah kurz zu Ravensbrook, wandte den Blick dann aber hastig wieder ab. »Der Gefangene lag auf dem Boden und hat noch schlimmer geblutet. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, und auch nicht, was Jimson gesagt hat. Er hat Seiner Lordschaft aus der Zelle geholfen, und ich bin zu dem Gefangenen hin.« Er ließ Monk nicht aus den Augen, als wolle er das Bild, das in seinem Gedächtnis haftengeblieben war, überdecken. »Ich habe mich neben ihn niedergekniet und seine Hand genommen, ja, um zu sehen, ob er noch lebte. Konnte nichts fühlen. Aber, um ehrlich zu sein, Sir, ich weiß nicht, ob ich nicht so durcheinander war, daß ich überhaupt was gemerkt hätte. Aber ich glaube, er war schon tot. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Blut gesehen.«
    »Verstehe.« Monks Blick wanderte unwillkürlich zu der halb geöffneten Zellentür hinüber. Dann zwang er sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor ihm zu richten. »Und was ist dann geschehen?«
    Der Wärter sah Ravensbrook an, aber dieser half ihm in keiner Weise weiter; dem starren Ausdruck seines Gesichts nach hörte er vielleicht nicht einmal, was gesprochen wurde.
    »Wir haben Seine Lordschaft gefragt, was passiert sei«, sagte der Wärter unglücklich. »Obwohl ja jeder sehen konnte, daß die beiden sich furchtbar geprügelt hatten, und irgendwie hat der Gefangene mehr abgekriegt als Seine Lordschaft.«
    »Und als Sie Lord Ravensbrook fragten, was hat er da geantwortet?«
    »Er sagte, der Gefangene hätte ihn angegriffen, als er gerade das Taschenmesser rausgeholt hatte, um die Feder anzuspitzen, und obwohl er sein Bestes getan hätte, um ihn abzuwehren, habe er sich selbst verletzt, und ein paar Sekunden später war alles vorbei. Hat die Ader in seiner Kehle erwischt, und zack! Aus.« Er schluckte heftig.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir, ich hätte es nie zugelassen, aber vielleicht war es einfach gerecht so. Niemand hat es verdient, einfach so davonzukommen, wenn er seinen Bruder ermordet hat, ja. Aber ich hasse es, wenn sie die Leute aufhängen. Jimson sagt, ich bin zu weich, aber das ist nicht die richtige Art und Weise für einen Mann zu sterben.«
    »Vielen Dank.« Monk behielt seine Meinung für sich, aber sein Schweigen und das völlige Fehlen von Tadel in seiner Stimme ließen darauf schließen, daß er dem Mann in gewisser Weise recht gab.
    Schließlich wandte Monk sich an Ravensbrook und sprach ihn deutlich und mit großem Nachdruck an.
    »Lord Ravensbrook, würden Sie uns bitte erzählen, was genau vorgefallen ist? Es ist sehr wichtig, Sir.«
    Ravensbrook blickte ganz langsam auf und schien sich nur mit Mühe auf Monk konzentrieren zu können, wie ein Mensch, der gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. »Wie bitte?«
    Monk wiederholte seine Worte.
    »Oh. Ja. Natürlich.« Er holte tief Luft und atmete dann leise aus. »Es tut mir leid.« Mehrere Sekunden lang sagte er dann nichts mehr, bis Rathbone drauf und dran war, weiter in ihn zu dringen. Da endlich begann er zu sprechen. »Er war in einer sehr seltsamen Gemütsverfassung«, sagte er langsam. Es

Weitere Kostenlose Bücher