Septimus Heap 05 - Syren
riechst noch schlimmer als er.«
»Lass mich gehen ...«, brummelte Barney durch die ekelhafte Lakritzhand, die etwas Scharfes am Daumen hatte, das ihm wehtat.
»Ja«, sagte die Stimme in sein Ohr. »Ich möchte keine kleinen Stinker wie dich hierhaben. Ich will das da.« Die andere Hand des Angreifers fasste nach unten und entriss Barney den Sicherheits-Charm.
»Nein!«, schrie Barney und kam endlich frei. Er stürzte sich auf den Charm – und sah sich Auge in Auge einem Schreiber aus dem Manuskriptorium gegenüber. Er konnte es nicht fassen. Ein großer, schmuddelig aussehender Junge, der die graue Uniform eines Schreibers trug, hielt den Sicherheits-Charm so hoch in die Luft, dass er ihn nicht erreichen konnte, und grinste ihn an. Barney kämpfte mit den Tränen. Er verstand überhaupt nichts mehr. Heute Morgen stimmte rein gar nichts. Warum fiel ein Schreiber aus dem Manuskriptorium hinterrücks über ihn her und stahl ihm seinen Charm? Schreiber waren vertrauenswürdige Leute – das wusste jedes Kind.
»Gib ihn mir zurück!«, schrie Barney, aber der Schreiber hielt die Flasche gerade so hoch, dass er mit seinen verzweifelten Sprüngen nicht herankam.
»Du kannst sie wiederhaben, wenn du sie zu fassen kriegst, Kleiner«, verspottete ihn der Schreiber.
»Bitte, bitte«, schluchzte Barney. »Es ist wichtig. Bitte, gib ihn mir zurück.«
»Wie wichtig?«, fragte der Schreiber und hielt die Flasche noch höher.
»Ganz, ganz wichtig.«
»Dann zieh Leine. Sie gehört mir.«
Zu Barneys Entsetzen war der Schreiber urplötzlich verschwunden. Als wäre er durch die Wand gesprungen. Barney starrte bestürzt auf die Holztäfelung, und drei Schrumpfköpfe, die dort nebeneinander in einem Regal lagen, starrten zurück. Barney bekam es mit der Angst zu tun. Wie konnte jemand einfach so verschwinden? Vielleicht war er gerade von einem bösen Geist angegriffen worden. Aber Geister hatten doch keine Hände, die nach Lakritze rochen, und sie konnten auch keine Dinge anfassen, oder?
Barney war allein. Der lange Korridor lag verlassen da, und der Sicherheits-Charm war fort. Die Schrumpfköpfe grinsten ihn an, als wollten sie sagen: Viel Vergnügen als Eidechse. Ha-ha-ha!
* 4 *
4. Der Künftige
W ä hrend Barney Pot im Langgang ausgeraubt wurde, beobachtete Tante Zelda von einem kleinen Fenster oben im Turm, wie Septimus abflog.
Sie sah, wie Feuerspei hoch in die Luft über dem Palast stieg und seinen dicken weißen Bauch vor die Sonne schob. Sie sah die Schatten seiner Flügel über den Palastrasen huschen, als er in Richtung Fluss flog, und sie sah, halb verdeckt von seinem herrlichen muskulösen Hals, die kleine grüne Gestalt auf seinem Rücken, die, wie es schien, nur mühsam das Gleichgewicht hielt. Sie sah, wie die beiden über dem gestreiften Zelt am Landungssteg drei Runden drehten und wie Alther Mella aus dem Zelt trat und ihnen zum Abschied winkte. Dann kniff sie ihre alten Augen zusammen und beobachtete, wie Septimus und sein Drache auf die Nebelbank zuhielten, die sich von Port heranschob. Als Drache und Reiter nur noch ein schwarzer Punkt am Himmel waren, stieß sie einen Seufzer aus. Wenigstens hatte Septimus jetzt den Sicherheits-Charm – nichts Geringeres als einen lebenden Sicherheits-Charm.
Tante Zelda wandte sich vom Fenster ab. Sie zog einen goldenen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn in das, was wie eine stabile Mauer aussah, und schritt in das Königinnengemach. Als sie in den stillen Raum trat, schob sie ihre Sorgen um Septimus beiseite und richtete ihre Gedanken auf den Jungen, der einst Septimus’ bester Freund gewesen war. In der Jungarmee waren Septimus und Wolfsjunge unzertrennlich gewesen – bis zu jener verhängnisvollen Nacht, in der Wolfsjunge aus einem Boot der Jungarmee fiel und in den schwarzen Fluten des Flusses versank.
Beim Rascheln von Tante Zeldas Kleid drehte sich Königin Cerys langsam in ihrem Sessel um und richtete den entrückten Blick ihrer dunkelvioletten Augen auf die Besucherin. Der Geist der Königin verließ den Raum nur selten, denn er bewachte den Königinnenweg. Es war ein ruhiges, sehr ereignisarmes Dasein, und der Geist verbrachte die meiste Zeit in einem traumähnlichen Zustand, aus dem zu erwachen bisweilen schwierig war.
Tante Zelda machte noch einmal einen Knicks und zog die lange silberne Röhre aus der Tasche. Beim Anblick der Röhre erwachte Königin Cerys vollends aus ihrer Verträumtheit, und neugierig sah sie zu, wie Tante Zelda das
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