Sex and Crime auf Königsthronen
importiert. Das Lob- und Propagandalied auf den Oranier gelangt um 1568 ins Land der Deiche. Der Grafensohn Wilhelm bereits 23 Jahre zuvor. Im zarten Alter von zwölf erbt er beträchtliche Teile Hollands, Zeelands und die Stadt Breda.
Weshalb die Hymne so beginnt:
Wilhelm von Nassau bin ich, von deutschem Blut,
dem Vaterland getreu bleib’ ich bis in den Tod.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit dem Vaterland sind im Lied die Besitzungen des Oraniers in den Niederlanden gemeint, sonst würde die Strophe kaum zur Nationalhymne unserer Nachbarn taugen.
Het Wilhelmus wird heute zu den musikalisch schönsten Nationalhymnen der Welt gerechnet. Angeblich ist es sogar die älteste. Behaupten Sie also nie, dass Fußball keine Kulturveranstaltung ist! Summen Sie den deutschen Exportschlager lieber mit. Die Melodie ist eingängig und geht zu Herzen.
Der Liedtext ist – wie das Leben Oraniens – komplizierter. In 15 Strophen, von denen beim Fußball nur die erste zum Vortrag kommt, lässt der unbekannte Texter Wilhelm in der Ich-Form über seinen unverwüstlichen Heldenmut berichten. Die 15 Strophen sind ein Klacks, verglichen mit den Regalkilometern, die die historische Fachliteratur über das Leben und die politischen Hakenschläge des Prinzen füllt.
Ein grober Überblick vorab: Der Name Wilhelm von Oranien ist untrennbar mit dem Befreiungskampf der Niederlande gegen spanische Fremdherrschaft, Ketzerverfolgung und Inquisition verknüpft.
Dank seiner Erbschaft wird der deutsche Grafensohn Wilhelm zum Mitglied des niederländischen Hochadels und damit zu einem Vasallen Kaiser Karls V., der in Personalunion auch König von Spanien und Herr der Niederlande ist. Wilhelm macht also eine mustergültige Adelskarriere.
Vom Grandseigneur mit Prinzentitel mutiert Wilhelm später jedoch – eher wider Willen – zum Rebellen. Er wird Teilnehmer und Symbolfigur einer Revolte gegen die spanischen Landesherren.
Der Aufstand beginnt 1566 mit religiösen Unruhen in Antwerpen. Dagegen muss Wilhelm, obwohl längst ein Kritiker der Spanier, noch im Namen seines Königs mit Waffengewalt vorgehen. 1568 wechselt er die Seiten. Er flieht nach Deutschland, sammelt Truppen und zieht in den Kampf um die Freiheit der Niederlande. Klammer auf. Und um seinen zwischenzeitlich eingezogenen Besitz! Klammer zu.
Das Ganze ist der Beginn eines achtzigjährigen Krieges und beschert Europa am Ende eine Art erste Bürgerrepublik mit dem Bandwurmnamen »Republik der sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande«. Das muss man als Aristokrat erst mal schaffen. Und wollen!
Der deutschstämmige Prinzrebell Wilhelm von Oranien wird außerdem Urahn des heute regierenden niederländischen Königshauses. Womit er selbst nie gerechnet hat! Das Geschlecht derer von Oranien-Nassau, dem er entspringt, wird erst 1815 zur royalen Dynastie erhoben und erhält das Erbrecht auf den neu installierten Thron.
Eine bemerkenswerte Geschichte und irgendwie verkehrte Welt.
Denn ringsumher geraten Monarchien gerade schwer in Verruf und in Bedrängnis. Frankreich befindet sich nach der Revolution und nach Napoleon auf dem besten Weg zur Republik. In England wird König George III. wegen wiederholter Wahnattacken in Windsor weggesperrt. In Dänemark herrscht ein anerkannter Psychopath, und in Portugal sitzt eine inzestgeschädigte, mental derangierte Königin auf dem Thron.
Trotzdem hätte unser Wilhelm ein royales Sitzmöbel sicher schon anno 1600 begrüßt. Er muss sich zu Lebzeiten aber bescheiden, weil seine Mitrebellen von Königen – vor allem die ausländischen – erst mal die Nase voll haben. Immerhin behält das Geschlecht Oranien-Nassau dank Wilhelm machtpolitisch den Fuß über Jahrhunderte in der Tür.
Seine Nachkommen – darunter auch uneheliche – regieren mit wenigen Unterbrechungen bis 1795 als sogenannte Generalstatthalter die »Republik der sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande«. Dann überfällt Napoleon die Niederländer und gründet das Marionetten-Königreich »Batavia«. Der Name geht auf einen westgermanischen Volksstamm zurück, der anno Tobak holländische Küstengebiete besiedelt hat. Stichwort Tabak: Den letzten Nikotinfreunden unter uns könnte Batavia als Drehtabak noch ein Begriff sein. Und das kommt daher, dass die Niederländer die Hauptstadt ihrer ostindischen Kolonien, die neben Tee auch Tabak lieferten, ebenfalls Batavia nannten. Napoleon hat sich also keinen Fantasienamen ausgedacht. Wobei der legendäre
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