Sexualität - ein natuerliches Beduerfnis
gilt auch,
wenn ich auf eine Party gehe, wo viele fremde Leute sind. Die Unsicherheit, in
die es mich versetzt, geht einher mit dem Gefühl, ausgeliefert zu sein,
potentiell ausgeliefert zu sein. Wenn ich meine Genitalien auswärts trage, also
als Mann, habe ich das Gefühl, ich suche Schutz und würde gerne irgendwo
unterkriechen. Und genauso gibt es die Empfindung bei der Frau, sich offen
ausgeliefert zu fühlen und etwas zu suchen, das physisch diese Öffnung füllt.
Und so kommen sich diese beiden Bestrebungen eben entgegen.
Daraus
folgt die Frage, ist das dann die einzige Möglichkeit? Bin ich als Mensch dem
ausgeliefert? Heißt das, ich muss immer in einem Spannungszustand bleiben,
wenn ich nicht Gelegenheit zur Sexualität habe?
Zuhörerin:
Also, ich habe in der Jugend mehrmals die Schule gewechselt und verschiedene
Formen von Sexualkundeunterricht erlebt. Rückblickend ist deutlich, dass das
Tabu-Thema nicht Sex ist, sondern eher Zärtlichkeit. Jeder hat im Sexualkunde
nur beigebracht bekommen, wie der mechanische Vorgang abläuft. Auch jetzt bin
ich noch an einer Schule tätig und höre die Frauen immer nur Fragen stellen,
wie sie das Glied des Mannes besser erregen können und nicht Fragen stellen,
was Zärtlichkeit mit Sexualität zu tun hat. Also es ist immer nur der rein
mechanische Vorgang, der irgendwie angesprochen wird, hinterfragt wird.
Also
wenn es tröstet: Man kann auch einige Jahre Psychologie und Sexualtherapie
studieren und bekommt dort auch nicht viel mehr vermittelt.
Verlustängste
und Kontrollzwang
Zuhörer:
Also, ich fand das gut, als du das mit der Musik gesagt hast. Da ist bei mir
plötzlich wie so ein Schleier weggegangen, wie eine Erleichterung. Bei deiner
ersten Frage dachte ich so: Èigentlich, um Sexualität zu bekommen, muss ich
erst mal diese ganze Hürde nehmen, eine Beziehung zu haben.` Das klingt erst
mal ganz schrecklich. Das ist ja das, was die Gesellschaft erwartet. Durch den
Buddhismus habe ich verstehen gelernt, dass ich dem anderen wirklich etwas
Gutes tue mit Sexualität.
Ich
bin selbst auch Buddhist und zutiefst vertraut mit der Aussage, dass Sexualität
dazu da ist, andere Menschen glücklich zu machen und nicht dem eigenen
Vergnügen dient. Es ist erfüllender, danach schauen zu können, wie ich den
anderen glücklich machen kann, als in der misslichen Lage zu sein, meine Unruhe
loswerden zu wollen. Ist der andere nur ein Mittel, um mir meine Unruhe vom
Leib zu halten? Sind viele Liebesbeziehungen möglicherweise kaschierter
gegenseitiger Missbrauch? Sind wir möglicherweise deswegen so versessen darauf,
einen Partner für uns allein zu besitzen, weil wir uns nicht allein in der Lage
fühlen, uns physisch zu entspannen? Machen wir unseren Partner dafür
verantwortlich, dass es uns gut geht? Oder noch genauer gefragt: Leben wir in
der Hoffnung, dass unser Partner uns irgendwann einmal das gibt, was wir selbst
nicht haben, das Fühlen unserer wirklichen Bedürfnisse ?
Warum
fürchten viele die Antwort auf die Frage, die sie dennoch zwanghaft stellen:
War es, könnte es mit dem anderen besser gewesen sein? Was suchst du bei dem
anderen, was du bei mir nicht findest? Stets wird so getan, als ginge es um den
„besseren“ Sex, als wenn das der Hauptgrund wäre, dass Menschen zusammen sind –
oder auseinandergehen. Es ist jetzt müßig, darüber zu reden, warum in unserer
Gesellschaft die Sexualität so tabuisiert ist und in anderen Kulturen, wie zum
Beispiel in der asiatischen Kultur, nicht. Schlimmer als bei uns ist es ja nur
noch im Islam.
Zuhörer:
Orthodoxes Judentum ja auch. Ich habe gestern einen Film gesehen über zwei
orthodoxe Juden, die sich verlieben, zwei Männer. Ich habe da noch einmal eine
Frage zu. Du sprichst davon, dass in der westlichen Kultur Sex tabuisiert
werde. Man braucht nur alle möglichen Plakate anzuschauen, wo mit sexuellen
Reizen gespielt wird. Oder Jugendliche reden auch den ganzen Tag über Sex.
Also, ich weiß nicht, wo Sex kein Thema ist.
Das Inzest-Tabu
Also wir reden über Sexualität als
Ware. Konsum schafft keine dauerhafte Zufriedenheit, es gibt keinen Ersatz für
tatsächliche persönliche Entfaltung. Dasselbe gilt auch für den Bereich der
Sexualität. Sexualität als Ware, auch Sexualität zwischen Menschen, die eine
Beziehung aushandeln, ist in Ordnung, ist etabliert. Das Tabu, von dem wir hier
reden, findet statt in dem Bereich, in dem nicht darüber gesprochen wird, wo es
an die
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