Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
und das Werk zu Ende bringen würde, das er begonnen hatte.
Schließlich aber wurden seine Züge schlaff, und das lebendige Flackern seiner Augen erstarb. Er krachte auf den Boden, und sein Schädel schlug mit einem Übelkeit erregenden Geräusch auf den harten Zement.
Eine gefühlte Ewigkeit konnte sie sich nicht bewegen und brachte auch keinen Ton heraus. Ihre Augen brannten, doch sie konnte sie nicht schließen, sondern starrte wie gebannt auf das Blut, das über seine Brust auf den Boden lief und dort eine große Pfütze bildete. Diego stürzte auf sie zu, und sie merkte undeutlich, dass er sie in die Arme nahm, doch noch immer blickte sie auf ihn.
Jetzt kämpfte sie gegen die Tränen an, zwang den Alptraum aus ihrer Erinnerung und hob zitternd ihre kalten Hände vors Gesicht, als könnte sie dadurch die Dinge auswischen, die sie vor ihrem inneren Auge sah. Das Trauma ihrer Begegnung mit dem Tod war der grauenhafte Höhepunkt der seelischen Belastungen, denen sie seit der Entführung ihrer Schwester ausgeliefert war. Sie wusste, dass ihr Zustand eine ganz normale Folge der erlittenen Qualen war, trotzdem kam sie schwer damit zurecht.
Ein leises Geräusch drang in ihr Bewusstsein vor, und ein schwaches Licht schimmerte durch die Dunkelheit. Langsam klappte sie die Augen auf und sah sich in dem Krankenzimmer um. Wieder hörte sie etwas.
»Alles in Ordnung?«, wollte jemand flüsternd von ihr wissen.
Sie lenkte ihren Blick auf das Krankenbett und sah ihre Schwester an.
»Alles in Ordnung, Becca?«, fragte Dani noch einmal.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl, streckte sich und trat mit einer Gelassenheit, die sie ganz sicher nicht empfand, neben das Bett. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Dani war wirklich hier.
Der Körper ihrer Schwester war mit blauen Flecken übersät, und wegen der dunklen Ringe unter ihren Augen sah ihre bleiche Haut im dämmrigen Licht der Lampe über ihrem Bett grau aus. Die überraschendste Veränderung jedoch lag in ihren Augen selbst. Vor ihrer Entführung hatten sie jung und unschuldig geleuchtet, jetzt waren sie trüb und wirkten so gequält und alt, dass Becca ihren Anblick beinahe nicht ertrug.
Doch sie selbst hatte die Chance, etwas zu tun und dadurch die Schuld gegenüber der Familie abzutragen, dachte sie. In der Nähe des Fensters schlief Momma zusammengerollt auf einer Liege und sah so ruhig und zufrieden aus wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Als sie ihre Familie zusammen sah, hätte Becca sich am liebsten in den Arm gekniffen, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich wach, dass Dani wirklich von den Toten auferstanden war.
»Schlaf weiter. Es ist noch früh.« Lächelnd strich sie ihrer Schwester über das blonde Haar, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Stirn.
»Du hast geweint.« Dani streckte eine Hand nach ihrer Wange aus.
Becca hatte nicht bemerkt, dass sie in Tränen ausgebrochen war. Sie fuhr sich eilig übers Gesicht und atmete tief ein. Die Spinnweben des Alptraums waren zwar zerrissen, aber noch nicht weggefegt.
»Ich bin okay, wirklich. Es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest, Dani«, versicherte sie ihrer Schwester mit gedämpfter Stimme, gleichzeitig jedoch rannen ihr neue Tränen über das Gesicht. »Du bist wirklich hier. Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Ich auch nicht.« Danis Lippen zitterten, und auch in ihren blauen Augen stiegen Tränen auf.
Becca kannte ihre Schwester. Sie konnte nicht darüber reden. Zumindest jetzt noch nicht.
»Verzeihung. Detective Montgomery?«
Becca drehte sich um und sah, dass eine Schwester durch die Tür getreten war. »Ja?«
»Ich habe einen Anruf für Sie im Schwesternzimmer«, wisperte die Frau. »Ein Detective Paul Murphy. Er wollte Ihre Familie nicht stören, indem er direkt auf dem Zimmer anruft. Soll ich ihn durchstellen lassen oder …«
»Nein, danke. Ich nehme den Anruf draußen entgegen. Ich bin sofort da.«
Schulterzuckend wandte sie sich wieder ihrer Schwester zu. »Ich muss weg. Kann ein wenig dauern, aber ich bin so schnell wie möglich wieder da. Schlaf du noch ein bisschen, ja?«
Dani setzte ein schwaches Lächeln auf, klappte müde die Augen wieder zu, und Becca küsste sie noch einmal zärtlich auf die Wange und wandte sich zum Gehen.
Sie wusste, weshalb Murphy so früh angerufen hatte. Sie hatte ihn letzte Nacht gebeten, ihr beim Abschluss des Marquez-Falls behilflich zu sein. Da man offiziell ihn mit den Ermittlungen beauftragt hatte, hatte
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