Shakran
tun«, sagte er bitter. »Hätte ich den Schlüssel behalten, dann wäre ihr nichts passiert.«
46
S ie fühlte sich wie in einem Traum. Abseits, unsichtbar. Um sie herum handelten die anderen, die Menschen, die sie in den letzten Tagen kennengelernt hatte. Sie sehnte sich zurück nach der Schule, nach dem geordneten Leben, das sie als Ann Mankowitz geführt hatte. Da vorn im Gang standen Valerie St. Clair und Mark Bridges, die beiden FBI-Agenten, die man hatte ermorden wollen. Sie wirkten ruhig und gefasst. Nur eine Fassade? Oder waren die beiden wirklich so cool? Sie selbst fühlte sich, als ob sie im nächsten Augenblick zerspringen könnte wie ein Glas aus Kristall. Die beiden Ermittler unterhielten sich mit Chet Kramer, ihrem einzigen Freund.
In diesem Augenblick warf er ihr einen prüfenden Blick zu, sie antwortete ihm mit einem leichten Lächeln. Es sollte ihm sagen, dass es ihr gut ging.
Es war eine Lüge. Wie alles in ihrem neuen Leben. Dies war kein Spiel mehr, das war mittlerweile allen klar. Und dennoch riskierten sie ihr Leben für sie. Chet aus Freundschaft, die beiden FBI-Agenten, weil es ihr Job war.
Sie beobachtete, wie die Spezialisten von der Spurensicherung die Räume betraten und verließen, die unaufdringliche Kompetenz, mit der die Beamten der Mordkommission und der Spurensicherung den Schauplatz sicherten und durchsuchten. Sie wusste, dass sie so etwas nicht zum ersten Mal sah, dass es nicht nur in einem Film gewesen war. In den letzten paar Wochen hatte sie eine Menge über sich herausgefunden, aber es reichte einfach nicht. Sie wusste jetzt, dass sie eine Glock innerhalb von drei Sekunden auseinandernehmen konnte. Sie hatte irgendwann ein Nahkampftraining absolviert, sie konnte schießen, als ob sie John Wayne Konkurrenz machen wollte. Aber was brachte ihr das? Auf all diese Informationen würde sie liebend gern verzichten. Wenn ihr einfach nur ihr eigener Name einfallen würde, das wäre ein Anfang.
Sie sah Agent St. Clair auf sich zukommen. Wie hieß sie mit Vornamen? Man sollte wissen, wie jemand mit Vornamen heißt, der bereit ist, für und mit einem zu sterben. Eins wusste sie genau: Die beiden Agenten würden sie nicht mehr aus den Augen lassen. Sie hingen alle mit drin. Hoffentlich wollte man sie nicht in Schutzhaft stecken. Das wäre kein Schutz.
»Valerie?«
Die Agentin sah sie irritiert an. »Ist etwas, Miss Mankowitz?«
Sie durfte nicht vergessen, dass Valerie St. Clair eine ausgebildete Psychologin war. Wahrscheinlich liest sie in mir wie in einem offenen Buch, dachte Ann. Wenigstens einer hier. Vielleicht sollte ich sie fragen, was drinsteht in mir.
»Darf ich Sie Valerie nennen? Wir werden ab jetzt einige Zeit zusammen verbringen, nicht wahr?«
Die Agentin sah sie an. »Und wie soll ich Sie nennen? Ann, Andrea oder ganz anders?«
»Nennen Sie mich Juliet«, antwortete Ann. Es fühlte sich richtig an, Juliet war die Starke. Wer auch immer sie war, Ann wusste mittlerweile, dass alles, was hier passierte, für Juliet nicht fremd war. Es war Juliets Welt, eine Welt, die Ann nicht gefiel.
Val sah sie prüfend an. »Ich glaube, ich bleibe bei Ann.« Sie hielt ihr die Hand entgegen, Ann ergriff sie.
»Was passiert jetzt?«, fragte sie.
»Ab jetzt lassen wir Sie nicht mehr aus den Augen«, antwortete Val. »Der Fall hat eine neue Dimension erreicht, ab jetzt spielen wir auch nicht mehr nach den Regeln.«
»Aber Sie sind FBI-Agentin. Bedeutet das nicht, dass Sie nach den Regeln spielen müssen ?«
»Ich bin sogar eine verdammt gute Agentin. Aber ich bin inzwischen ziemlich sauer ...« Sie sah Ann direkt in die Augen. »Ich glaube, ich werfe ab jetzt alle Regeln über Bord.«
»Das kann ich verstehen. Kannten Sie Agent Benning?«
»Vom Sehen. Aber darauf kommt es nicht an. Es hat eine von uns erwischt. Damit haben sich die Regeln geändert. Und als Erstes werden wir alles zusammenfassen, was wir wissen. Vor allem, was Sie wissen.«
Ann nickte. »Haben die Bastarde den Schlüssel bekommen?«
Valerie nickte. »Leider.«
Ann lächelte. Es war an der Zeit, mit offenen Karten zu spielen. »Wenn wir schnell genug sind, können wir den abfangen, der versuchen wird, an das Schließfach heranzukommen.«
»Wir wissen noch nicht einmal, zu welcher Bank der Schlüssel gehört.«
»Ich weiß es.«
Val riss die Augenbrauen hoch und wollte gerade etwas fragen, da kam Sergeant Uller die Treppe heraufgerannt. »Boss! Sie werden es nicht glauben, aber wir haben gerade den
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