Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
Frau“, sagte Charles Morning mit Wärme in der Stimme. „Sie gab mir die Kraft, weiterleben zu wollen, als es unsicher schien, ob ich das Bein je wieder belasten könnte oder es nicht doch amputieren müsse. Dank ihrer Pflege, heilte die Wunde und sank das Wundfieber.“
„Sie sind sehr stolz auf sie, nicht wahr?“
Der Duke nickte und lächelte. „Sie weiß immer, was sie will. Darum ging sie auch ins Lazarett. Wenn sie schon nicht wie ein Mann kämpfen durfte, dann wollte sie wenigstens auf diese Weise ihrem Vaterland dienen.“
„Und ihre Eltern haben sie einfach so gehen lassen?“ Charles Morning schüttelte den Kopf. „Ihre Eltern starben früh und mit ihrer Schwester hat sie sich nie besonders gut verstanden.
Wie gesagt, sie sind zu verschieden. Doch wenn sich Cecilia etwas in den Kopf setzt, kann man sie nur schwer wieder davon abbringen.“
Wenig später verabschiedete sich Holmes und kehrte in die Baker Street zurück, wo Mrs Hudson bereits mit dem Tee wartete und beiläufig darauf hinwies, wie schwierig dessen Zubereitung gewesen sei, nachdem die Leitungen immer noch eingefroren waren.
Watson hatte es sich im Musikzimmer bequem gemacht und blätterte in der Times , während Holmes, einer alten Gewohnheit folgend, seine Violine zur Hand nahm.
„Die Sache ist äußerst merkwürdig, Watson“, begann er und strich zart über die Saiten seines Instrumentes. „Diese Ähnlichkeit zwischen Lady Valerie und der Duchess of Chester. Man könnte meinen, sie stammen aus derselben Familie.“
„Lady Valerie hat vor über zweihundert Jahren gelebt. Durchaus denkbar, dass es da entfernte verwandtschaftliche Bande gibt.“ Holmes nickte nachdenklich und setzte sein Spiel mit geschlossenen Augen fort.
„Sie sah zumindest aus wie auf dem Gemälde, das Charles von ihr im Salon aufhängen ließ. Und dort trägt sie dieses Siegel sogar.
Charles hat mir von der Bewandtnis des blauen Kristalls erzählt, der das Siegel schmückt. Es ging mit ihr im Moor verloren. Oder wurde ihr vom Mörder entwendet. Das ist zumindest seine Meinung.“
„Oh, das denken auch andere. Wenn man den Geschichten glauben schenkt, muss man zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, dass es nicht nur Eifersucht war, die Raymond Grace zum Mörder machte. Sonst hätte er sie ja nicht töten brauchen.“
„Wurde er überhaupt verurteilt?“
„Ja, zum Tode durch den Strang. Ein Stadtstreicher hat ihn beobachtet, wie er MacGregors Leiche in der Themse versenken wollte.
Aber Lady Valerie wurde nie gefunden. Er hat ihr Grab auch nicht verraten. Man ging nur davon aus, dass er sie wohl ins Moor brachte, das schien damals das Naheliegendste. Daraus entstand dann die Geschichte mit der Geisterfrau, die jedes Jahr um ihren Todestag übers Moor schwebt und nach ihrem Liebsten ruft.“
„Wir können wohl davon ausgehen, dass zumindest dieser Teil der Geschichte wahr ist. Sonst wäre Lady Valerie mir nicht von Muirhurst bis hierher gefolgt. Aber der Geist trug kein Amulett, also hat er es ihr wohl tatsächlich entwendet.“
Bei seiner Festnahme konnte kein Kristall sichergestellt werden. Es gab demnach keine Beweise, dass Raymond Grace wirklich im Besitz des Siegels gewesen war. Seine rechtskräftige Verurteilung für den Mord an MacGregor und die Vollstreckung waren dokumentiert. Soweit hatte Watson ermitteln können. Doch über Raymonds Grab gab es keine Aufzeichnungen.
„Nicht ungewöhnlich bei einem Verbrecher.“
Holmes ließ diese Rechtfertigung so stehen, behielt es aber im Hinterkopf. Was, wenn das Siegel doch gewirkt und es keinen Leichnam gegeben hatte, den man bestatten konnte? Er hatte schon von den unglaublichsten Orten gehört, an denen Gefangene etwas versteckten, das ihnen lieb und teuer war. Der menschliche Körper bot durchaus Raum für derlei. Und einen wiederauferstandenen Verbrecher würden die Behörden sicher nicht an die große Glocke hängen.
Gerade, als Watson mit seinen Ausführungen fortfahren wollte, riss ein lauter Schrei aus der Küche die beiden Männer aus ihren Überlegungen. Sie stürmten nach unten und fanden Mrs Hudson völlig aufgelöst und leichenblass mit dem Rücken zum Herd vor. Sie starrte zum Hintereingang, wo für gewöhnlich die Lieferungen abgestellt wurden. In der offenen Tür lag ein Bein. Die Haushälterin zitterte am ganzen Leib und brachte kein Wort heraus. Langsam ging Holmes zum Eingang und öffnete die Tür ein Stück. Auf der Treppe lag Madame Loulou, das Medium. Steif gefroren
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