Sie haben mich verkauft
Brustkorb fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Ich würde sterben.
Eine Hand packte mich am Nacken, und Luft explodierte in meinen Lungen, als ich durch die Wasseroberfläche stieß.
»Stell dich dort drüben hin«, sagte eine Stimme. »Da ist es seicht genug.«
Aber ich war zu klein, ich reichte mit den Füßen nicht bis auf den Grund; keuchend holte ich Luft und begann zu schwimmen. Um mich herum wimmelte es von Menschen. Ich hörte Hundegebell und sah Lichter hell über dem Wasser aufblitzen. Mit den Armen rudernd, kam ich voran, bis ich Sand unter den Füßen spürte und vorwärtsrobbte. Ich blickte nicht zurück. Ich musste nur vorankommen. Ich durfte nicht zulassen, dass mich die Polizei erwischte.
Ardy hatte vor mir den Strand erreicht. Als die Lichter über uns kreisten, packte er mehrere Hände voll nassen Sand, dener sich über seinen Pullover schmierte, um in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden. Mein Atem ging keuchend, und ich hatte Splitt im Mund, als ich mich an den Strand zog. Leute vor mir rannten ins Gebüsch, und ich folgte Ardy, als er auf sie zulief. Wir waren wie krabbelnde Ameisen, als wir alle in der Nacht verschwanden, die Polizei immer hinter uns her.
Ich kroch durchs Gebüsch und an der anderen Seite wieder hinaus. Vor mir erstreckte sich ein Pfad, am anderen Ende waren Bäume zu sehen. Ardy packte mich an der Hand, dabei redete er schnell mit einem anderen Mann. Sie schienen zu diskutieren, wohin wir laufen sollten. Andere Leute um uns herum rannten in entgegengesetzte Richtungen davon. Wir waren zu neunt und hasteten bald zwischen Bäumen und Büschen immer weiter, während die panischen Geräusche allmählich abebbten. Als es schließlich still war, machten wir Rast, um uns etwas Trockenes anziehen zu können. Jetzt verstand ich, weshalb Ardys Mutter alles in Plastik verpackt hatte.
Wir befanden uns offenbar in einem Wald. Überall um uns herum schien es Bäume zu geben, aber es war so dunkel, dass ich nichts richtig erkennen konnte. Wortlos gingen wir zusammen weiter, bis die Männer auf einen Graben zeigten, den sie entdeckt hatten, und wir kletterten alle hinein. Die Zeit verstrich, die Sonne ging auf, und immer noch sagte keiner ein Wort. In der Ferne bellte ein Hund, und wir kauerten uns noch tiefer auf den Boden. Wir blieben den ganzen Tag dort, und alle schwiegen beharrlich, alle blieben reglos. Wir hatten nichts zu essen und zu trinken, wir gingen nicht einmal austreten. Ich war steif wie eine Statue, ich hatte solche Angst, dass ich an nichts denken konnte. Nur immer wieder an die Dunkelheit während der Bootsfahrt, das eisige Wasser, in das ich fiel. Wie sollte ich bloß überleben, was hier mit mir geschah?
Als es dunkel wurde, setzten sich alle wieder in Bewegung. Ardy flüsterte mir zu, ich solle schnell gehen, als wir mit der kleinen Gruppe von Leuten weiter Richtung Bäume, Büsche und Gras marschierten. Bald kamen wir an eine Schnellstraße, auf der die Autos laut vorbeirasten; Ardy schickte uns erneut ins Gebüsch und ging zu einem kleinen Café an der Straße ein Stück weiter weg. Ein paar Minuten später war er wieder da.
»Ich habe uns ein Taxi bestellt«, sagte er und setzte sich neben mich.
Er hielt eine Zeitung in der Hand, und mir wurde eiskalt, als ich das Datum sah. Der 1. September 2001. Ludas erster Schultag. Bilder gingen mir durch den Kopf – ich sah Hände, die Ludas Haare zu Zöpfen flochten und ihr das braune Schulkleid und die weiße Schürze über den Kopf zogen, ehe sie ihr in die weißen Kniestrümpfe und die Sandalen halfen. Es wäre immer noch warm genug für Sommerschuhe, und genau wie jedes Kind in der Ukraine am ersten Schultag würde auch Luda in ihrer winzigen Hand ein paar Blumen für ihre Lehrerin halten. Erinnerungen an Saschas ersten Schultag stiegen in mir auf. Ich war aus der Türkei gekommen, um ihn in die Schule zu bringen, und ich war so stolz, als ich ihm die weißen Socken, die schwarze Hose, die Schuhe und den dunkelroten Schulblazer anzog. Ich wusste, ich würde die jüngste Mutter in der Schule sein, und ich wollte, dass er stolz auf mich war, also sorgte ich dafür, dass seine Haare ordentlich geschnitten waren und ich an dem Tag mein bestes, silberfarbenes Kleid trug. Dann brachte ich ihn zur Schule, wo all die anderen Kinder versammelt waren und zusahen, wie jeder der älteren Schüler einen der Schulanfänger an die Hand nahm und ihm eine Fibel gab. Ich schloss die Augen und sah Sascha wieder vor mir,
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