Sieg der Liebe
Augenblick lang stand er schweigend vor ihr. Die Hand hatte er um die Flamme gewölbt, um sie zu schützen.
Warum hatte sie ihn das gefragt? Ihre Augen glänzten im Schein der Kerze voller Hoffnung, die er zerstören mußte. Wenn er Jerusas Bitte nachgab, würde er sich von seiner Mutter abwenden. Aber wenn er den Wunsch seiner Maman erfüllte, zerstörte er die einzige Chance für ein glückliches Leben, die er jemals gehabt hatte.
„Michel?“ fragte Jerusa vorsichtig. Lag es nur an dem flackernden Kerzenschein, oder war der Ausdruck in seinen Augen wirklich so voller Bitterkeit und Schmerz?
Doch ehe sie das feststellen konnte, sah Michel über ihren Kopf hinweg zur Tür. „Komm. Ich mußte den Kapitän bestechen, damit er noch vor der Flut ausläuft, und wir sollten ihn nicht warten lassen.“
Sie schluckte. „Und wohin fahren wir, Michel?“
„Nach Süden, ma cherie“, sagte er und vermied es, ihrem Blick zu begegnen. „Nach Süden, und weg von Newport.“
Kurz vor Tagesanbruch war es in Seabrook still und ruhig. Die schmale Sichel des Neumondes spendete nur wenig Licht, aber Michel ging so sicher durch die ungepflasterten Straßen, als hätte er es schon tausendmal vorher getan. Und während Jerusa neben ihm hereilte, wurde ihr wieder einmal bewußt, wie wenig sie ihn doch kannte.
Zu ihrer Erleichterung gingen sie weit entfernt von der Hannah Barlow zu einem anderen Kai und auf eine kleine Brigg zu, die dort festgemacht hatte. Selbst im schwachen Licht der Laterne über der Eingangsluke sah Jerusa, daß die Brigg besser geführt wurde als die Hannah Barlow.
Die Leute von der Besatzung waren mit den letzten Vorbereitungen vor dem Ablegen beschäftigt, zogen Taue fester oder beeilten sich, Befehle auszuführen. Das Schiff war zwar klein und sehr einfach ausgestattet, doch sie spürte, daß sie wenigstens mit einem fähigen Kapitän segeln würden.
„Sind Sie es, Mr. Geary, Sir?“ rief ein Mann von Backbord her, als Michel und Jerusa die Planke entlanggingen. „Der Kapitän ist unter Deck, aber er hat mich gebeten, Sie an seiner Stelle an Bord willkommen zu heißen.“
Er streckte Michel die Hand entgegen. „George Hay, Sir, ich bin der Maat. Wir freuen uns, Sie auf der Swan begrüßen zu dürfen. Wir haben selten Passagiere an Bord, aber wie Kapitän Barker sagte, Ihre Gesellschaft wird uns etwas Abwechslung von unserem eigenen langweiligen Geschwätz bringen. Und Sie, Madam, müssen Mrs. Geary sein.“
Hay zog seinen Hut und verbeugte sich vor Jerusa. Sein rundliches, freundliches Gesicht gefiel ihr, und da seine Manieren und seine Sprechweise viel gepflegter waren als die der meisten Seeleute, fragte sie sich, ob er vielleicht der Sohn oder der Neffe des Schiffseigners war, den man zur See geschickt hatte, damit er das Gewerbe erlernte, ehe er seinen Platz im Kontor einnahm.
Als sie ihn anlächelte, dachte sie sehnsüchtig, was wohl geschehen wäre, wenn sie an Bord der Swan um Hilfe nachgesucht hätte, und nicht an Bord der Hannah Barlow.
Sie fühlte, wie Michel seinen Arm um ihre Taille legte. Er hatte das Recht dazu, solange sie vorgaben, verheiratet zu sein, doch die besitzergreifende Geste schien ihr mehr auf Eifersucht als auf Zuneigung zu beruhen.
Seine Nähe verwirrte sie, und sie trat so weit zur Seite, wie es ihr möglich war. Tom Carberry hatte es nur ein einziges Mal gewagt, sich derart anmaßend zu verhalten, und sie hatte ihn so heftig mit ihrem Fächer geschlagen, daß ganz Newport eine Woche lang von nichts anderem gesprochen hatte. Eine solche Szene wollte sie jetzt nicht machen, nicht, wenn die Angst vor dem Konstabler ihr im Nacken saß, solange sie hier im Hafen waren.
Michel fühlte, wie sie erstarrte und vor ihm zurückwich. Was zum Teufel hatte sie nun wieder vor?
„Meine Frau geht zum erstenmal auf eine Seereise. Sie müssen also entschuldigen, wenn sie ein wenig ängstlich wirkt“, er-klärte er ruhig. Am liebsten hätte er den Maat über Bord geworfen, weil er Jerusa so unverschämt angegrinst hatte. „Ihre Aufregung wird sich legen, sobald wir unterwegs sind.“
„Ihre erste Seereise, Mrs. Geary?“ fragte Hay. Das Interesse, das er Jerusa gegenüber zeigte, gefiel Michel nicht. „Nun, Sie hätten sich keine angenehmere Fahrt aussuchen können, und auch kein besseres Schiff! Wenn wir erst die südlichen Strömungen erreicht haben, wird die Swan so sanft dahingleiten wie ein Boot auf einem See.“
„Das ist sehr beruhigend, Mr. Hay“, sagte Jerusa
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