Silberband 065 - Die Altmutanten
weiter nach Norden zogen. Mit den riesigen Schollen kamen aber auch Seehunde und Pinguine. Ihr Fleisch bereicherte den Speisezettel der Menschen von Porvenir.
Sam Katzbach tauschte von morgens bis abends und sorgte dafür, daß sein Profit nicht zu gering wurde. Die Männer paßten auf, sie feilschten mit ihm um jedes Gramm Fisch oder Leder. So kam jeder auf seine Kosten, ohne daß jemand benachteiligt wurde.
Nick Madl hatte eine Menge Arbeit, im Hafen für Ordnung zu sorgen. Dafür erhielt er von allen Bootsbesitzern Beuteanteile oder eingetauschte Waren. Den größten Teil davon tauschte er bei Katzbach wieder gegen Getreide und Obst oder Kartoffeln ein, die er zu dem scharfen Getränk brannte, von dem er stets eine Probe mit sich herumschleppte.
Fell Kantenburg regierte weiter und war ehrlich darauf bedacht, jedem Bewohner von Porvenir das Dasein so angenehm wie möglich zu machen, ohne nach den Hilfsmitteln der Zivilisation greifen zu müssen. Niemand bezweifelte seine Wiederwahl im kommenden Sommer.
Dark Pendor war viel im Wald und fällte passende Bäume, wie man sie zum Bau eines Hauses oder Bootes benötigte. Da aber die KAP HOORN noch immer ein gutes und heiles Schiff war, konnte jeder ahnen, wozu das Holz benötigt wurde. Karos half ihm dabei, wenn er nicht gerade mit den anderen Männern der Nachbarschaft auf Fischfang war.
Sein heimlicher Wunsch bestand noch immer darin, seine Heimat für kurze Zeit zu verlassen, um die ›andere Welt‹ kennenzulernen. Vielleicht hätte er es einfach getan, wenn Mary nicht gewesen wäre. Er konnte das Mädchen nicht allein zurücklassen, denn jeder in Porvenir wußte, daß sie seine Braut war. Er konnte es schon seinen Eltern nicht antun.
Eines Tages, in der zweiten Woche des Mai 3444, kehrte ein alter Fischer in den Hafen zurück und wartete kaum, bis Nick sein Boot übernommen und vorschriftsmäßig vertäut hatte. Ohne auf die Fragen des Hafenmeisters einzugehen, rannte er davon, so schnell ihn seine wackeligen Beine trugen. Nick Madl sah ihm kopfschüttelnd nach, ehe er den kärglichen Fang überprüfte und dann zu Katzbach schleppte.
Der Fischer aber hetzte durch die Straßen, bis er ganz außer Atem war und öfter pausieren mußte. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er endlich sein Ziel erreichte – das Haus des Bürgermeisters.
Kantenburg war gerade damit beschäftigt, seine Haustür zu streichen. Er sah den alten Mann kommen und ahnte, daß Ole Pat mal wieder eine Räubergeschichte erzählen würde. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß die Bewohner von Porvenir auf seine Märchen hereingefallen wären.
»Na, Ole, was rennst du denn so? Sind Haie hinter dir her?«
»Dir wird das Lachen bald vergehen, Fell«, prophezeite Ole Pat und setzte sich auf den nächsten Stein. »Aber ich muß mich erst ein wenig ausruhen. Der Weg hat mich angestrengt.«
Kantenburg war neugierig geworden, wenn er sich auch vorgenommen hatte, dem alten Schwätzer kein einziges Wort zu glauben. Aber anhören konnte man sich seine Geschichte ja ruhig. Viel geschah nicht in Porvenir, und das Leben konnte recht eintönig werden.
»Wird ein schöner Blödsinn sein, den du mir erzählen willst«, knurrte der Bürgermeister und tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Er begann wieder zu streichen. »Wenn du einen Wal gesehen hast, so vergiß es.«
Ole Pat schnaufte noch immer. »Ein Wal – so ein Quatsch! Deswegen wäre ich nicht zu dir gekommen, das kannst du mir glauben. Ich möchte wissen, warum du dir dein Haus nicht gleich oben auf die Berge gebaut hast, damit man überhaupt nicht hinkann. Das ist ja eine halbe Weltreise.«
»Du hättest ja unten bleiben können. Heute wäre ich sowieso in Madls Kantine gegangen. Vielleicht hätten die anderen Leute deine Geschichte auch gern gehört.«
»Es ist besser, wenn nur du sie erfährst.«
»So schlimm ist sie?«
Ole Pat schüttelte den Kopf. Er hatte sich nun sichtlich erholt. »Nein, nicht schlimm, aber sonderbar.«
Kantenburg seufzte und strich weiter. »Alle deine Geschichten sind sonderbar, aber wenn man weiß, daß sie alle erlogen sind, braucht man sich nicht darüber aufzuregen. Es macht dir eben Spaß, anderen Menschen einen Bären aufzubinden.«
»Diesmal nicht, Fell, diesmal nicht! Du wirst staunen!«
»Das tue ich schon jetzt.« Er legte den Pinsel beiseite, kam zu Ole und setzte sich neben ihn. »Ich habe wenig Zeit, also fang endlich an! Ganz egal, was es diesmal ist …«
»Drüben auf der großen
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