Silbernes Band (German Edition)
es nicht mitkriegte. Da war Elías ganz anders. Den mochte sie sehr gern und freute sich jedesmal, wenn sie ihn wiedersah. Rúna und Elías waren gemeinsam zur Schule gegangen und verliebten sich dort ineinander. Gæfa war damals noch ziemlich klein gewesen, im ersten Schuljahr. Elías war unheimlich lustig, neckte sie ständig, so wie ein grosser Bruder das tun würde. So wie Júlían das vielleicht getan hätte. Elías und Rúna waren ziemlich lange zusammen gewesen, er gehörte praktisch zur Familie, Gæfa war gewissermassen mit ihm aufgewachsen. Irgendwann hatten sich Rúna und Elías nicht mehr so gut verstanden. Ihre Schwester hatte sich verändert, wollte weg von zu Hause, sobald sie das Abitur in der Tasche hatte. Elías hingegen hatte einen Studienplatz in Akureyri gefunden. Es gab immer öfter Streit, und gleich nach den Abiturprüfungen trennte Rúna sich von ihm. Gæfa war schrecklich traurig gewesen, hatte sich deshalb sogar mit ihrer Schwester verkracht, obwohl sie doch nur ein kleines Mädchen gewesen war, das keine Ahnung hatte von sowas. Aber sie wollte, dass alles so blieb, wie es war. Dass Elías weiterhin fast jeden Abend bei ihnen am Tisch sass, die ganze Familie mit seinen lustigen Geschichten unterhielt, mit ihr Karten spielte und sie dabei gewinnen liess.
Gæfa beschloss schon mal vorbeugend, den neuen Freund ihrer Schwester nicht zu mögen. Lehrer! Das sagte doch schon alles!
Noch mehr Schlagzeilen
Fionn beobachtete aus einer Ecke des spärlich beleuchteten Lokals das heutige Angebot. Da war die kleine blonde Krankenschwester, die er von seinen Besuchen bei Kristín kannte. Sie sah immer wieder verstohlen zu ihm rüber, hatte ihn offenbar wiedererkannt und schien interessiert zu sein. Er übersah ihre Flirtversuche. Die Krankenschwester hatte sich gut um Kristín gekümmert, er würde sie verschonen.
An der Bar sass eine Dunkelhaarige, mittelgross, etwas mollig, süsses Blut. Das Haar trug sie ganz kurz, fast wie ein Junge. Frauen mit kurzem Haar gefielen ihm nicht besonders, so etwas gab es zu seiner Zeit einfach nicht, er würde sich wohl nie damit anfreunden. Da sie aber aussergewöhnlich gut roch, könnte er eine Ausnahme machen, immerhin hatte sie ziemlich weibliche Formen. Sie hatte ihn nicht bemerkt, was gut war.
Die Dunkelhaarige verliess das Lokal gegen halb Eins. Er wollte noch eine Weile warten, bevor er ihrer Fährte folgte, um in einem günstigen Moment zuzuschlagen. Es würde schnell gehen, sie hätte keine Chance davonzukommen.
Er bezahlte seinen Drink, den er nicht angerührt hatte und ging mit lautlosen Schritten zum Ausgang. Im Vorübergehen streifte er leicht die Schulter der kleinen Krankenschwester. Ihre Blicke folgten jeder seiner Bewegungen. Sie war enttäuscht, weil er ging, ohne sie bemerkt zu haben. Birna konnte froh sein, dass er nichts von ihr wollte. Fionn war durstig.
Zwei Tage später erschien ein Artikel auf der Titelseite des Nachrichtenblattes. Nachdem in den letzten Wochen gleich zwei junge Frauen spurlos verschwunden waren, fürchtete sich ganz Island vor einem verrückten Serienkiller. Heiðar schloss angewidert die Augen, als er die Zeitung aus dem Briefkasten zog, liess sie kurzerhand verschwinden, damit Rúna den Artikel nicht schon beim Frühstück zu Gesicht bekam und stellte sich auf ein schwieriges Gespräch ein, das sie zweifellos heute Abend führen mussten.
Als er sie von der Arbeit abholte, hielt sie natürlich besagtes Nachrichtenblatt in der Hand. Zu Hause setzten sie sich an den Küchentisch. Rúna tippte mit dem Zeigefinger auf die Titelseite und blickte ihn besorgt an. „Was glaubst du, ist mit diesen Frauen passiert?“ Heiðar sah die schreckliche Ahnung in ihrem schönen Gesicht. Er könnte versuchen, sie zu belügen, um sie in Sicherheit zu wiegen, gleichzeitig wusste er, dass das nicht funktionierte. Rúna spürte instinktiv, dass die vermissten Frauen Opfer von Fionn geworden waren. Er schluckte gequält und sprach ganz leise: „Im Fall von Auður weiss ich, dass Fionn für ihren Tod verantwortlich ist. Vermutlich hat er auch die zweite Vermisste getötet. Es tut mir schrecklich leid, dass ich dir das zumuten muss.“
Sie blickte schockiert aus dem Fenster auf die Strasse hinaus. „Tut er das oft? Er trinkt doch jeden Tag Spenderblut...“ Ihre Stimme brach und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Heiðar tastete ganz vorsichtig nach ihrer Hand, um sie nicht zu erschrecken und wählte seine Worte mit Bedacht:
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