Silbernes Band (German Edition)
gehen, und sie war klitschnass. Sie stolperte, verlor dabei einen Schuh, hinkte nun hilflos am Arm des fiesen Vampirs über den Asphalt. „Beeil dich, Cinderella, der Spass geht gleich los. Ich muss bloss noch diesen Gaffer beseitigen.“
Aus einer dunklen Ecke unter dem Dach der Eingangskuppel wankte eine Gestalt. „Einen Penny... für eine arme Seele...“, lallte es undeutlich. „Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht!“, raunte George in ihr Ohr und drehte sie um. Sie wusste, dass es sinnlos war, zu flüchten. Er würde sie gleich wieder eingeholt haben. „Einen Penny kann ich leider nicht erübrigen, aber ich habe etwas viel Schöneres für dich. Heiss das Himmelreich willkommen, mein Bester.“ Rúna hörte ein leises Knacken und ein dumpfes Geräusch, als wäre etwas zu Boden gefallen. Sie war ausserstande, darüber nachzudenken, was eben geschehen war.
„Sieh nicht hin, ma Chére. Das, was du gleich erleben wirst, ist viel aufregender.“ Er runzelte ungehalten die Stirn. „Wo Stellan wohl so lange bleibt? Er sollte mir den Bastard bringen, damit er zusehen kann, wie ich dich aussauge.“ Rúna blieb ein verzweifelter Schrei im Hals stecken, als er ihr zur Bekräftigung ins Gesicht bleckte und seinen bösen Blick aufflammen liess. Dann schnaubte er gelangweilt und strich eine Haarsträhne nach hinten. „Nun, allzulange wird es nicht mehr dauern. Ich könnte schon mal eine nette kleine Nachricht an Fionn senden. Er darf auf keinen Fall versäumen, wenn ich seinen Sohn töte. Und dann – dann wird er selbst sterben. Und ich – ich werde seinen Platz im Rat einnehmen. Ist das nicht ein wunderbarer Plan?“
Auf Leben und Tod
Zur selben Zeit spazierten Fionn und Morten gemütlich durch den Hyde Park. „Ich möchte ihn behutsam in die Welt der Unsterblichen einführen. Du wirst mir dabei helfen“, stellte Fionn fest. „Sehr gerne. Wenn du mir erlaubst, ihn etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Phänomen Halbwesen fasziniert mich, nicht bloss aus beruflicher Sicht. Ich bin gespannt, wie er sich entwickelt.“ – „Es sieht vielversprechend aus, aber ich muss ihm genügend Zeit lassen.“ – „Du bist einverstanden, wenn wir morgen gemeinsam jagen?“ – „Ich habe nichts dagegen, dass er nicht auf traditionelle Weise jagt. Dadurch kann er Rúna leichter an sich binden.“ – „Er fürchtet ständig, sie zu verlieren.“ – „Das wird sich legen. Noch fehlt es ihm an Selbstbewusstsein, und das meine ich wörtlich. Sobald er restlos akzeptieren kann, was er ist, wird er an Sicherheit gewinnen. Möglicherweise denkt er dann darüber nach, was er sein könnte.“ – „Hast du bestimmte Pläne für die beiden?“
„Kling!“ Fionns Smartphone meldete den Eingang einer SMS. Bevor Morten eine Antwort bekam, musste er nachsehen, wer ihm zu dieser späten Stunde eine Nachricht übermittelte. „Verabschiede deine Kinder an der Canary Wharf.“ Würde sein Herz noch schlagen, dann hätte es wohl einmal ausgesetzt. „George hat Rúna und Heiðar!“ Morten wurde unsanft am Arm gepackt und mitgerissen. Fionn zwang sich, seine Gefühle zu kontrollieren, damit er klar denken konnte. Sie mussten so schnell wie möglich zur Isle of Dogs gelangen, hoffentlich war es noch nicht zu spät! Warum wollte George seine Familie vernichten? Obwohl ein Snob mit dekadentem Lebensstil, galt er bisher als unbescholtener, loyaler Mitarbeiter. Er musste sie unbemerkt ausspioniert haben. Fionn heulte lautlos auf. Wie hatte er so unvorsichtig sein können, Rúna und Heiðar hierherzubringen? Sein Sohn war alles, was ihm noch blieb, auf keinen Fall konnte er zulassen, dass er getötet wurde. Rúna zu verlieren stand ebensowenig zur Debatte, sie war Heiðars Leben. Wenn sie starb, wäre sein Schicksal genauso besiegelt.
Sie rannten im Schutz der Dunkelheit durch die Stadt, mussten immer wieder ihr Tempo drosseln, wenn Menschen ihren Weg kreuzten und überall hingen diese verdammten Überwachungskameras. Auf ihrem Weg kamen sie an Mortens Wagen vorbei, der in der Nähe von Fionns Wohnung parkte. Sie hatten aber nicht etwa vor, mit dem Auto zu fahren, dann dauerte es viel zu lange, bis sie ihr Ziel erreichten. „Ich brauche meine Tasche.“ Morten öffnete blitzschnell die Tür des feuerroten Ferrari Testarossa und griff nach der Arzttasche, die auf dem Beifahrersitz lag. „Los weiter, beeil dich!“, drängte Fionn. „Lass uns durch die Tunnels laufen, das ist der schnellste Weg!“ Morten wagte
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