Silicon Jungle
gewesen, noch ehe Mustafa Kawlias Einreise in die USA genehmigt worden war.
Es war nur ein einziger Eingang zum Royce Hall Auditorium an der UCLA geöffnet. Die in die Halle strömenden Menschen wurden sorgfältig kontrolliert. In allen Medien war von einem Besuch der Veranstaltung abgeraten worden. Doch wer dabei war, inmitten des Gewühls das Spektakel beobachtete und die Gewaltbereitschaft spürte, musste selbst die eindringlichsten Warnungen als untertrieben empfinden. Die Rufe aus den Menschenmassen ringsherum und das Gebrüll, mit dem die Leute in der Warteschlange darauf reagierten, waren ohrenbetäubend.
Noch am Vormittag hatte Mohammad überlegt, ob er seinen Sohn Adam mitnehmen sollte. Doch als er in den Nachrichten die Demonstrantenmassen gesehen hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass Adam für so etwas noch nicht alt genug war. Vielleicht war er übervorsichtig, hatte Mohammed gedacht. Aber als er jetzt inmitten des Chaos stand, war er froh, seinen Sohn zu Hause gelassen zu haben.
Mohammad stand seit über einer Stunde in der Schlange, deren Ende er nicht sehen konnte. Er hatte nicht mal geplant herzukommen. Kawlia war sehr bekannt, und sein Auftritt war Thema einer öffentlichen Kontroverse, doch Kawlia war nicht der Einzige, der sich ehrlich äußerte, seine Worte wurden jeden Tag von Tausenden wiederholt. Hier zu sein, an so einem öffentlichen Ort Unterstützung zu bekunden, war eine leere Geste. Hätte ihm der Imam nicht die Karten zu Hause vorbeigebracht, wäre Mohammad nicht hingegangen. Aber der Imam hatte darauf bestanden, und jetzt stand Mohammad in der Schlange und wurde wie alle anderen angerempelt und zusammengequetscht.
Nur wenige Schritte von ihm entfernt bildeten die wegen ihrer Schilde, Westen, Gummiknüppel und Pistolen kaum erkennbaren Körper der Polizisten eine geschlossene Reihe und hielten ein Meer aus Demonstranten zurück, die bedrohlicher wirkten als die Leute in der Warteschlange. Über achttausend Menschen wurden am Abend bei der Demonstration auf der Wiese erwartet, mehr als fünfmal so viele wie zahlende Gäste.
Die Schlange bewegte sich langsam. Noch etwa zehn Meter trennten Mohammed von dem von zwei imposanten Türmen flankierten Eingang des roten Backsteingebäudes. Als er schließlich nah genug war, um durch die Türen zu schauen, sah er, dass dahinter Metalldetektoren aufgestellt worden waren. Er sah die Tische, an denen jeder Ausweis registriert, gecheckt und nochmals gecheckt wurde, sah die Polizisten, die jede Person, die hereinkam, durchsuchten, jeden Mann und jeden Jungen grob abklopften, sah den kleinen glatzköpfigen Polizisten, der seine Hände an die wenigen Frauen legte, die hineinwollten, sie gedankenlos nach versteckten Waffen abtastete. Mohammad folgte den Blicken der vor ihm Wartenden und sah, dass sie genauso aufmerksam zuschauten wie er. Ein falscher Schritt, ein unabsichtliches Ausrutschen der Hand, und der Glatzkopf würde es sofort bereuen. Es fehlte nicht viel.
Die ganze Zeit über hielt das Geschrei und Gebrüll um ihn herum an. Ein junges muslimisches Mädchen in gel-ben Shorts, das auf den Schultern eines muslimischen Jungen saß, schrie Mohammad an, beschwor ihn, nicht reinzugehen. Auf dem Schild, das sie hochhielt, stand kurz und knapp: »Das ist nicht der Islam.« Nein, dachte Mohammad, das ist er nicht. Diese Botschaft war inmitten des wogenden Meeres aus Schildern und Plakaten nicht einmalig. Dutzende Mädchen und Jungen schwangen Schilder mit demselben Spruch, erklärten der Welt durch die Fernsehkameras, die unablässig über die Menge schwenkten, dass sie das, wofür Kawlia stand, nicht unterstützten, sich von seinen Aussagen distanzierten. Sie sind dabei, sich selbst zu verlieren, dachte Mohammad. Sie wollen sich verlieren und nicht wiedergefunden werden.
Als er dem Gewimmel und dem unerträglichen Lärm entronnen war und die kühle Luft im Gebäude ihn umgab, löste sich die Anspannung in Mohammads Körper. Er ließ sich von der Menge mitziehen. Bald würde er auf seinem Platz sitzen, und das schändliche Schreien und Lärmen wäre bloß noch eine Erinnerung.
Der Metalldetektor piepste, und das rote Licht darüber blinkte. Ein Wachmann stieß ihn grob zur Seite. »Aufpassen«, bellte er. »Sind Sie blind? Es ist rot!«, rief er und klopfte wütend auf das blinkende Licht über dem Detektor, als wäre Mohammad ein Kind. »Ziehen sie Gürtel und Schuhe aus und geben Sie dem Mann im blauen Hemd alle Metallgegenstände, die sie
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