Sinnliches Erwachen
Letzteres. Jeden Tag wurde sein Band zu der zarten Menschenfrau fester. Jeden Tag brauchte er sie ein bisschen mehr.
Zacharel setzte sich in Bewegung und verkündete: „Clerici möchte dich kennenlernen.“
Koldo hielt mit ihm Schritt und lauschte dem Klang seiner Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster des Wegs, der über die Wolke bis zur Treppe des Tempels führte. Zu beiden Seiten blühten Blumen, und kristallklare Flüsse schlängelten sich durch das Gras. Der Himmel war strahlend blau, und das orangegoldene Licht der Sonne wob ein schimmerndes Netz.
„Du wusstest, dass ich Nicola wollte, bevor du mich beauftragt hast, sie zu beschützen“, stellte er fest.
„Ja. Aber das wusstest du bereits seit einer Weile.“
„Das stimmt. Was ich noch nicht herausgefunden habe, ist, woher du es wusstest.“
Zacharel war noch nie jemand gewesen, der es sich anmerken ließ, wenn er sich unwohl fühlte, und so zuckte er unbekümmert mit den Schultern. „Der Höchste hat mir eine Vision gezeigt. Ich habe gesehen, wie du in das Krankenhaus zurückgekehrt bist. Ich habe gehört, wie du im Aufzug mit dem Mädchen gesprochen hast.“
Koldo hatte nichts dagegen, Visionen von anderen zu sehen. Aber dass andere Visionen von ihm hatten?
„Er will, dass du glücklich bist“, fügte Zacharel hinzu.
„Ich weiß.“ Doch glaubte er das wirklich? Nach allem, was Koldo getan hatte … „Hast du Jamila deshalb bei ihr im Büro eingesetzt?“
„Ja. Ich wollte sie gut bewacht wissen, wann immer du fort warst. Du warst so labil, Koldo, das weißt du. Du warst eine tickende Zeitbombe, und jeder, der dir zu nahe gekommen wäre, hätte die Wucht deiner Explosion abbekommen. Das Mädchen hat dich ruhiger gemacht, und darüber bin ich sehr froh.“ Zacharel klopfte ihm auf die Schulter.
Blau geflügelte Engel stießen das Portal des Tempels auf.
„Dann überlasse ich dich jetzt deinem Termin“, sagte Zacharel.
„Also gut. Und danke.“ Koldo trat in das Gebäude, seine Schritte hallten auf dem steinernen Boden. Der Korridor war leer. Früher hatten sich an den Wänden antike Möbel gereiht, und immer waren unzählige Gesandte hier gewesen, hatten den Gang mit Bewegung und Geplauder erfüllt. Die Dämonen mussten die Möbel besudelt haben, und die Gesandten mussten alle noch darauf warten, hergerufen zu werden.
Ein Ruf, der von Germanus hätte kommen sollen.
Mit geballten Fäusten marschierte Koldo den Korridor entlang. Das Tor zum Thronsaal war ebenfalls von zwei Engeln bewacht und stand bereits offen. Stumm schritt Koldo an ihnen vorbei und trat ein. Als Erstes fiel ihm auf, dass die Wände jetzt leer waren, die Fresken vom Himmelreich des Höchsten übermalt.
Waren sie beschmiert worden?
Er sollte da draußen sein und die Schuldigen jagen. Stattdessen spielte er bösartige Katze und angeschlagene Maus mit seinem Vater.
„Endlich lerne ich den berühmten Koldo kennen.“
Die tiefe Stimme kam von rechts, und Koldo wandte sich ihr zu. Clerici saß auf der mittleren Stufe des Thronpodests und polierte ein Schwert. Er trug ein fließendes weißes Hemd und eine Hose, genau wie auch Koldo es mochte. An seinen Händen klebte Schmutz, genau wie auf seinem Hemd und an seinen Unterschenkeln.
Wo Germanus alt gewirkt hatte, sah Clerici jung aus, sogar für ihre Art. Er sah aus, als wäre er gerade zwanzig, mit braunem Haar, braunen Augen und einem bescheidenen Gesicht. Unscheinbar, um ehrlich zu sein. Doch irgendetwas hatte er an sich, das Koldos Aufmerksamkeit fesselte. Eine magnetische Anziehungskraft. Einen Schimmer von … vielleicht Liebe, der hell aus jenen unergründlichen Augen strahlte.
Und genau wie Koldo besaß er keine Flügel.
„Ich bin nicht gerade das, womit du gerechnet hast, ich weiß“, sagte Clerici und wischte mit einem Lappen über die Klinge.
„Ich hatte noch gar nicht über dich nachgedacht.“
Ein Nicken dieses dunklen Kopfs. „Brutale Ehrlichkeit. Das gefällt mir.“
„Die bekommst du von jedem von uns.“
„Ah, aber du bist nicht durch den Klang der Wahrheit dazu gezwungen. Du entscheidest dich ganz freiwillig dazu.“
Eine Unvollkommenheit, die jeder Gesandte an ihm spüren konnte. „Du hast einen Auftrag für mich?“
Clerici legte das Schwert beiseite und blickte auf. „Im Augenblick nicht, nein.“
Verwirrt fragte Koldo: „Warum nicht?“ Er hatte geglaubt, das sei der Grund, aus dem er hier war.
„Du bist noch nicht bereit.“
Das war mit Sicherheit eine Lüge! „Woher willst du
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